Die junge Frau mit der VR-Brille wendet den Kopf scheinbar ziellos hin und her. Tatsächlich beschäftigt sie sich, wie auch ihre Kollegin, mit der rein digitalen Werkplanung per Simulation. Nebenan bietet eine Art Amphitheater aus hellem Holz – eine gemütliche, treppenförmige Sitzgruppe – Platz für Präsentationen und Gespräche. Ein Kollege holt ein fertiges Teil aus einem 3-D-Drucker, zwei andere bedienen sich an der Kaffeemaschine. Aus dem Nachbarraum tönt ein leises Titschen: Drei Mitarbeitende haben sich für ein kurzes Match an der Tischtennisplatte eingefunden.
Video: Wie Räume zur Kreativität beitragen
Hightech mit Pausen-Atmosphäre: Das ist das Digitallabor, die Ideenschmiede von Witzenmann in Pforzheim. Ganz klein hat sie angefangen: „Es begann mit einem 3-D-Drucker neben einer Kaffeemaschine“, erzählt Chief Operating/Chief Digital Officer Philip Paschen beim Besuch von aktiv. Dort war eben gerade Platz. Positiver Nebeneffekt: Wer sich einen Kaffee holte, wurde neugierig. „Damals war das etwas ganz Neues“, sagt Paschen. Heute steht im Digitallabor eine ganze 3-D-Druckfarm. Und die wird rege genutzt, zum Beispiel für Prototypen. Und um auszuprobieren, was man mit Metalldruck so alles machen kann.
Neue Ideen werden schneller umgesetzt
Bei Metall ist das Traditionsunternehmen in seinem ureigenen Element: Mit der Erfindung des Metallschlauchs vor knapp 140 Jahren wurde es zum Champion in Sachen flexible metallische Elemente. Das können winzige, flexible Abdichtelemente für Einspritzdüsen in Pkws sein oder auch wuchtige Leitungskomponenten in großen Chemieanlagen oder Kraftwerken. „Auch ein Traditionsunternehmen wie wir muss immer wieder über neue Anwendungsfelder seiner Produkte, über neue Geschäftsmodelle nachdenken“, sagt Paschen. „Dafür ist das entspannte Plaudern bei einer Tasse Kaffee ganz wichtig.“
Das kann Daniel Rothfuss bestätigen. Er ist Leiter des Labors und meint: „Wir brauchen diesen informellen Austausch – und am besten auch die Möglichkeit, gleich etwas auszuprobieren.“ Genau das geht im Digital.Lab: Die 3-D-Druckfarm wurde mit der Zeit von zwei kleinen Robotern ergänzt. An der Fensterfront sind mehrere Computerarbeitsplätze eingerichtet. Dort sitzen gerade drei Azubis. Auch sie können sich hier mit neusten digitalen Technologien beschäftigen, bevor diese in den übrigen Bereichen im Haus überhaupt erst ankommen.
Und natürlich dürfen auch ein großer Tisch mit Barhockern und ein Getränkekühlschrank nicht fehlen. „Hier kann ich kreativ sein, hier kann ich mich entfalten. Der Raum beeinflusst das Denken ganz enorm“, erklärt Paschen. Beim Nachdenken allein soll es aber nicht bleiben. Rothfuss erzählt: „Wenn jemand eine Projektidee hat, bekommt er hier ein Team, das nötige Equipment und auch eine kleine finanzielle Ressource. Auch wenn es dafür gar keinen Arbeitsauftrag gibt.“
Vorausschauende Wartung und Service für Einkäufer
So können neue digitale Technologien oder Services schnell umgesetzt und getestet werden. „Im Digitallabor geht das auf dem kurzen Dienstweg, oft in nur wenigen Stunden oder Tagen“, berichtet Rothfuss. So ist etwa „SMART.WI.“ entstanden – ein System, das Daten an flexiblen Rohrleitungskomponenten sammelt, die Witzenmann herstellt. Diese sogenannten Kompensatoren bewegen sich, um temperaturbedingte Ausdehnungen der Leitungen auszugleichen. SMART.WI liefert dem Betreiber Infos über die absehbare Abnutzung der Kompensatoren und ermöglicht dadurch eine vorausschauende Wartung.
Im Digital.Lab geboren ist auch PEDLAR, ein Dienstleister, der inzwischen ausgegründet wurde. „Von Einkäufern haben wir immer wieder gehört, wie schwierig es ist, Teile zu beschaffen, die man nicht regelmäßig braucht“, sagt Rothfuss. Daraus entsprang die Idee, die Beschaffung von solchen Einmalbedarfen als Dienstleistung anzubieten. Das Innovationsprojekt ist mittlerweile zu einer eigenständigen Firma erwachsen.
Das Unternehmen
- Das Familienunternehmen wurde 1854 als Schmuckwarenfabrik in Pforzheim gegründet.
- Seit der Erfindung des Metallschlauchs 1885 gehört Witzenmann zu den Technologieführern bei flexiblen metallischen Elementen.
- Die Produktpalette umfasst neben Metallschläuchen für Industrie und Gebäudetechnik auch Kompensatoren, Metallbälge, Rohrhalterungen und Fahrzeugteile.
- Mit rund 4.500 Mitarbeitenden weltweit beliefert Witzenmann eine Vielzahl an Branchen von Haustechnik über Fahrzeugbau bis zu Luft- und Raumfahrt.
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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