München. Ein wenig skeptisch schaut er schon drein, der junge Mann, der da seinem digitalen Ebenbild begegnet. Doch er fasst sich ein Herz und klatscht das Gegenüber ab: High-five, alles okay!

Irgendwie gibt es uns inzwischen ja alle doppelt, einmal aus Fleisch und Blut – und einmal als digitalen Zwilling. Höchste Zeit, dass wir uns mit ihm beschäftigen.

Noch nie hat eine technische Entwicklung unser Leben so verändert wie die Digitalisierung. In der Freizeit profitieren wir gerne davon: Apps helfen uns beim Navigieren oder Shoppen, geben Fitness-Tipps und verraten, wie das Wetter wird. Und wie sieht das im Arbeitsleben aus?

Teams treffen sich virtuell in der Cloud

Durch die Digitalisierung der gesamten Industrieproduktion werden ganz neue Arbeitsformen und Tätigkeitsfelder entstehen. Schon heute ist manche Arbeit nicht mehr ortsgebunden. Teams treffen sich nicht im Werk – sondern virtuell, in der Cloud. Und der Fortschritt macht das Arbeiten auch zeitlich immer flexibler. Das kann den Beschäftigten helfen, Beruf und Familie besser in Einklang zu bringen.

Aus Sicht der Betriebe darf das aber keine Einbahnstraße sein. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) stellt fest: „Wir brauchen Veränderungen des Arbeitsrechts, die es Arbeitnehmern und Unternehmen ermöglichen, die Vorteile der Digitalisierung optimal zu nutzen.“ Ganz konkret: Es gelte, „das Arbeitszeitgesetz globalen Erfordernissen anzupassen“.

Wer so was hört, guckt erst mal skeptisch: Wie bitte – das gute alte Arbeitszeitgesetz von 1994 modernisieren?

Ja. Aber dabei geht es nicht um dramatische Eingriffe ins Privatleben. Nach den Vorstellungen der vbw soll der bestehende Rahmen, wie ihn die EU vorgibt, möglichst ausgeschöpft werden (siehe Kasten zur Rechtslage bei der Arbeitszeit). Umdenken sei erforderlich, „um die Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Unternehmen auch für die Zukunft zu sichern“.

Was genau möchte die Wirtschaft also ändern?

Vor allem: Es muss möglich sein, dass Arbeitnehmer auch länger als zehn Stunden an einem Tag arbeiten. Schließlich kann je nach Job die Zusammenarbeit über Zeitzonen hinweg nötig sein – etwa eine Abstimmung mit Standorten in Fernost am frühen Morgen und mit Werken in Amerika am späten Abend. Dass der Einsatz auch in solchen Fällen nach acht bis höchstens zehn Stunden am Tag enden muss, wird dem vernetzten Wirtschaftsleben nicht gerecht.

Gefordert wird daher, auf die Regelung einer täglichen Höchstarbeitszeit im Gesetz zu verzichten. Abweichungen bloß mit Öffnungsklauseln für Tarifparteien zu erlauben, „würde den flächendeckenden Flexibilitätsanforderungen nicht gerecht“, so die vbw.

Mails checken und Ruhezeiten – eine Grauzone

Es geht dabei auch nicht etwa um „mehr Arbeit“, also eine Ausweitung des Volumens, sondern um mehr Spielraum bei Lage und Verteilung der Zeit. Die gesetzliche Vorgabe, dass auf Dauer eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werden darf, bleibt.

Was der Gesetzgeber darüber hinaus präzisieren sollte: Ein Anruf im Betrieb oder das Checken dienstlicher Mails nach Feierabend führt nicht dazu, dass die vorgegebene Ruhezeit – elf Stunden am Stück – wieder von vorne beginnt. Sonst würde „der Gebrauch von mobilen Geräten unpraktikabel“, heißt es. Zumal sich solche Situationen in der Praxis oft eher spontan ergäben, ohne Anordnung vom Chef.

Rechtssicherheit müsse her, durch Klarstellung: Die Ruhezeit wird nicht unterbrochen durch „nur gelegentliche, kurzfristige Tätigkeiten mit geringer Beanspruchung, die keine Anwesenheit an einem bestimmten Ort erfordern“.

Zudem gelte es, bürokratische Pflichten „auf das notwendige Maß zu reduzieren“. Bisher muss die Firma alle Arbeitszeiten über acht Stunden erfassen – obwohl Rechtsverstöße erst bei mehr als zehn Stunden täglich (oder mehr als 48 Wochenstunden im Durchschnitt) zu beanstanden wären. Und bei fehlerhaften Aufzeichnungen droht ein Bußgeld, selbst wenn einfach nur ein Mitarbeiter irrtümlich etwas falsch eingetragen hat. Zusätzlich plädiert die vbw dafür, den Tarifparteien generell mehr Spielraum für eigene Vereinbarungen zu geben: Auch hier enge das deutsche Gesetz Betriebe stärker ein, als die EU-Richtline es vorgibt.

Äußerst kritisch sieht man schließlich Überlegungen, die Erreichbarkeit von Mitarbeitern zwangsweise zu verhindern – was in der aktuellen Debatte von manchen gefordert wird. Wenn es betriebliche Abläufe erfordern, sollte man nach Dienstschluss oder im Urlaub kontaktiert werden können: „Die neuen technischen Möglichkeiten schaffen Freiräume für Arbeitnehmer – erhöhen aber auch das Maß an Eigenverantwortung, das man ihnen zugestehen muss“.

Das Leben in der digitalen Arbeitswelt wird damit einfacher und anspruchsvoller zugleich. Genau wie das Privatleben. Aber eben nur, wenn wir auch im Betrieb noch ein wenig umdenken: High-five!

Arbeitszeit: Das ist die geltende Rechtslage

  • Seit fast 100 Jahren hat er sich nicht groß verändert: der deutsche Acht-Stunden-Tag. Laut Arbeitszeitgesetz „darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten“. Das Gesetz gilt nicht für leitende Angestellte, auch nicht für bestimmte Berufsgruppen wie etwa Pfarrer.
  • Maximal zehn Stunden Einsatz sind nur vorübergehend erlaubt: Die acht Stunden pro Werktag (inklusive Samstag) dürfen im Durchschnitt von wahlweise sechs Monaten oder 24 Wochen nicht überschritten werden. Der Arbeitgeber muss solche längeren Arbeitszeiten aufzeichnen, sonst droht ein Bußgeld.
  • Außerdem muss normalerweise „eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden“ gewährt sein. Eine Mail oder ein Anruf am Feierabend führen aus Sicht namhafter Juristen zwar nicht dazu, dass diese Elf-Stunden-Frist von neuem beginnt. Aber höchstrichterliche Urteile gibt es nicht – das schafft Rechtsunsicherheit.
  • Die EU-Richtlinie, die den Rahmen für den deutschen Gesetzgeber absteckt, regelt ebenfalls eine „Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden pro 24-Stunden-Zeitraum“. Ausnahmen wären aber ausdrücklich möglich – etwa für „Industriezweige, in denen der Arbeitsprozess aus technischen Gründen nicht unterbrochen werden kann“ oder durch Vereinbarungen der Tarifparteien. Im deutschen Recht sind diese Ausnahmemöglichkeiten allerdings nicht voll abgebildet.
  • Eine Grenze der täglichen Arbeit gibt die EU nicht vor, nur eine „wöchentliche Höchstarbeitszeit“: Im Schnitt dürfen „pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden“ nicht überschritten werden. Der Acht-Stunden-Tag schränkt Firmen also stärker ein, als europaweit für nötig erachtet wird.

Die Digitalisierung verändert unser Leben – privat wie beruflich. Das beleuchten wir in unserem Themen-Special „Arbeitszeit“. Hier geht’s zur Einführung.

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