Dortmund. Stefan Werth hat die große Wahl. Vor ihm stapeln sich Gehäuse, Rotoren und andere Bauteile für Pumpen. Auf einem Bildschirm hoch über seinem Kopf leuchtet für jede der sechs Produktionslinien eine Ampel. Im Moment stehen sie alle auf Grün. „Grün heißt, die Kollegen haben noch genug Material für zwei bis drei Stunden“, sagt Werth. Er ist beim Dortmunder Pumpenhersteller Wilo stellvertretender Schichtleiter im Zwischenlager. Und das heißt neuerdings „Supermarkt“.
Wie bei Edeka oder Real muss hier alles schnell raus. Höchstens einen Tag lang dürfen die Bauteile bei Werth liegen. Sein Arbeitgeber will die Lagerhaltung und Fertigung straffen. Ziel: eine deutlich höhere Produktivität. Möglich machen sollen das Digitalisierung und Automation. Im Lager wird das schon ausprobiert. Geplant ist aber mehr: die Vernetzung der gesamten Fertigung, in der Anlagen miteinander kommunizieren und Mitarbeiter alles per Tablet steuern.
Bis 2019 will Wilo an seinem Stammsitz im Revier eine Smart Factory aus dem Boden stampfen. Und investiert eine viertel Milliarde Euro – inklusive Logistik, Entwicklungs- und Kundenzentrum sowie Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter – in die intelligente Fabrik. Der „Wilo Campus Dortmund“ ist derzeit Deutschlands größtes industrielles Bauvorhaben.
Die Digitalisierung sieht Wilo-Personalleiter Patrick Niehr als eine der größten Herausforderungen der Gegenwart: „Diesem Wandel muss ein Unternehmen mit vorausschauendem Handeln begegnen. Wer hier keine führende Rolle spielt, droht vom Markt zu verschwinden.“
Nicht nur die Dortmunder machen sich fit für die Digitalisierung. Sie betrifft im Prinzip jeden Betrieb der Metall- und Elektro-Industrie. Nur Firmen, die sich dem neuen Trend anschließen, werden auf Dauer überleben – und ihre Arbeitsplätze sichern. All das kostet viel Geld, das vorher erwirtschaftet sein will.
Deshalb schaut die Branche mit Sorge auf die laufende Tarifrunde. Die Gewerkschaft IG Metall fordert für die 700.000 Beschäftigten des größten Industriezweigs in Nordrhein-Westfalen Entgelterhöhungen von 6 Prozent und einen individuellen Anspruch auf Arbeitszeitverkürzung – mit Teillohnausgleich. Das dürfte viele Betriebe überfor- dern. Längst nicht allen geht es so gut wie dem Pumpenbauer Wilo, der Jahr für Jahr wächst und jetzt ein gutes Fünftel seines Jahresumsatzes von 1,33 Milliarden Euro investiert.
Derweil scannt Werth den Barcode eines Auftrags: Das Gerät zeigt ihm, welche Teile er aus welchem Regal herauspicken und welche er nachbestellen muss. Ein erfahrener Kommissionierer wie Werth – seit 15 Jahren im Betrieb – kannte auch früher seine Bestände. „Aber wir können dem Kunden nun genau sagen: Deine Pumpe kriegst du heute, morgen oder in drei Stunden.“
Dass Wilo ausgerechnet am Hochlohnstandort Deutschland so viel Geld in die Hand nimmt, ist eine „knallharte unternehmerische Entscheidung“, sagt Niehr. Zwei Jahre lang hatte die Firma verschiedene Optionen durchgespielt. Osteuropa etwa mit deutlich niedrigeren Arbeitskosten stand ebenso zur Debatte.
Für Dortmund sprach erstens die Marktnähe: Wilo mit 7.600 Mitarbeitern weltweit und Werken in Frankreich, Russland, China, Korea, Indien und den USA verkauft 56 Prozent seiner Pumpen für Gebäude, Kläranlagen und Fabriken in Europa, einschließlich Deutschland. Zweitens die Infrastruktur. Und drittens die guten Fachkräfte. Der Standort fertigt unter anderem die elektronische Steuerung für alle Wilo-Produkte. „Das Know-how bekommen wir so schnell woanders nicht“, sagt Patrick Niehr.
Die Lohnkosten fallen bei der Fabrik der Zukunft nicht so sehr ins Gewicht, weil deren Anteil geringer ist als bei einer klassischen Fertigung. Aber: „Künftige Vorhaben werden wir immer wieder neu bewerten und bestimmte Dinge möglicherweise woanders machen“, so Niehr. Bei einem deutlichen Schub bei den Arbeitskosten etwa könnte Deutschland an Attraktivität verlieren.
Der Pumpenbauer hat sich vieles von der Auto-Industrie abgeschaut
Vieles hat Wilo bei seinem Bau-Projekt von der Auto-Industrie abgeschaut. Kurze Wege, lichte Räume, fahrerlose „Routen-Züge“, die das Material zu den Montageplätzen bringen. „Die Produktion wird anders aussehen“, verspricht der für den neuen Campus zuständige Manager Georg Fölting. „Früher hatten wir sehr viel Material auf Lager“ – im Schnitt für 35 Tage Reichweite.
Die will Wilo auf fünf Tage drücken – und beim Zwischenlager sogar auf einen Tag. Dafür müssen die Lieferanten mitspielen. Qualität bekommt einen noch höheren Stellenwert: „Sonst steht wegen eines fehlerhaften Teils die ganze Fertigung“ , so Fölting. Es darf auch keine Maschine ausfallen: Sensoren werden alle wichtigen Komponenten überwachen. Datenbrillen oder Apps auf dem Tablet helfen bei der Instandhaltung. Digitalisierung steht bei Wilo übrigens nicht für den Wegfall von Arbeitsplätzen, vielmehr sollen diese anspruchsvoller und körperlich weniger belastend werden.
Vor dem Umzug testen Kommissionierer Stefan Werth und seine Kollegen die neue Technik und die veränderten Arbeitsabläufe in Pilotbereichen, alles im laufenden Betrieb. Fölting: „Wir nutzen die noch verbleibenden zwei Jahre zum Üben, damit am Ende alles möglichst reibungslos funktionieren kann.“

Arbeit ist bei uns sehr teuer! Wobei die 43,10 Euro natürlich nicht etwa der durchschnittliche Stundenlohn sind – sondern die gesamten Arbeitskosten. Mitgerechnet werden zum Beispiel der bezahlte Urlaub, die Beiträge der Firmen an die Sozialkassen, Ausgaben für die Betriebsrente und Sonderzahlungen, die nicht von der Leistung abhängen.
„Auf jeden 100-Euro-Schein für die tatsächlich im Werk geleistete Arbeit muss ein westdeutsches Metall- und Elektro-Unternehmen im Schnitt knapp 70 Euro Personalzusatzkosten drauflegen“, betont Christoph Schröder vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). „Gegenüber dem Durchschnitt der etablierten europäischen Industrieländer haben wir ein Drittel höhere Arbeitskosten zu tragen.“
Nun wäre das noch kein Problem, wenn die Beschäftigten so viel produktiver wären, wie sie teurer sind. Aber auch da wird es eng! Die Metaller-Entgelte stiegen zuletzt stets stärker als die Produktivität.
Das zeigt sich dann in den Lohnstückkosten, in die Arbeitskosten wie auch Produktivität einfließen. Auf diese Kennzahl achten Investoren weltweit, wenn es darum geht, wo ein neues Werk gebaut werden soll. Auch hier vergleicht Ökonom Schröder regelmäßig den Stand der Dinge im In- und im Ausland. Und er warnt: „Die etablierte ausländische Industrie-Konkurrenz kann mit Lohnstückkosten produzieren, die im Schnitt 11 Prozent unter dem deutschen Niveau liegen.“