Wer wissen will, wie die Zukunft im Kreuzfahrtschiff-Bau aussieht, sollte an die Ostseeküste reisen. Dort liegt in Wismar, nahe der Autobahn A 20, eine große Halle, in der früher einmal Solaranlagen hergestellt wurden. Heute beherbergt das Industriegebäude ein Unternehmen, das die Verhältnisse im Werft-Business von Grund auf revolutionieren könnte. Wenn alles nach Plan läuft …

Der Plan allerdings, das darf man sagen, ist relativ ambitioniert. Die MV Werften Fertigmodule GmbH will hier eine Produktion aufbauen, die es erlaubt, im 20-Minuten-Takt komplett vorausgerüstete Kabinen für Kreuzfahrt-Passagiere und Crew-Mitglieder herzustellen. Bis zu 7.000 Kabinen pro Jahr sollen so ab 2026 vom Band laufen.

Das hat in dieser Form noch keiner gemacht, auch in Asien nicht, aber die Mitarbeiter sind von ihrem Vorhaben überzeugt. „Es ist zu schaffen“, sagt Johannes Gößler. „Man muss die Dinge nur richtig angehen. Und außerdem: Wenn’s einfach wäre, könnte es ja jeder.“

Gößler ist einer von zwei Geschäftsführern des jungen Unternehmens und ein alter Hase im Innenausbau von Schiffen. Der gebürtige Österreicher hat nach einer Tischlerlehre seine Meisterprüfung in Papenburg gemacht und bei Refit- und Neubau-Projekten für drei große Jachten, 22 Kreuzfahrt- und vier Flussschiffe mitgewirkt.

Hohe Produktivität dank perfekt getakteter Fertigung

Sein Fazit: „Im Kabinenbau geht es darum, die optimale Balance zwischen Kosten, Gewicht, Schallschutz und Bauzeit zu finden und dabei den strengen Vorschriften gerecht zu werden.“

Möglich machen soll es eine perfekt getaktete Fertigung auf einem Fließband, das hier „Flowline“ heißt und eine Länge von 75 Metern hat. „Die Produktion von Referenzkabinen und das Mitarbeitertraining sind bereits im vollen Gang“, erzählt Gößlers Geschäftsführer-Kollege Volker Asmus. „Danach liefern wir im März 2018 die ersten Kabinen an MV Werften, und zwar Crewkabinen für die Endeavor-Expeditionsjacht.“

MV Werften ist die Schwesterfirma der Kabinenbauer. Die Unternehmensgruppe gehört zum asiatischen Konzern Genting Hong Kong, der die erfolgreichen Kreuzfahrtmarken Dream Cruises, Star Cruises und Crystal Cruises betreibt. Nachdem das Unternehmen die drei Werft-Standorte von Nordic Yards in Wismar, Rostock und Stralsund übernommen hatte, entstand daraus die neue Formation MV Werften.

Die größten Schiffe, die je in Deutschland gebaut wurden

Und die soll primär für den boomenden Markt in Asien arbeiten. Im Auftragsbuch stehen aktuell sieben Neubauten, darunter zwei Flusskreuzfahrtschiffe, die 2018 abgeliefert werden. Im Frühjahr ist außerdem Baubeginn für die erste von drei Megajachten und Kiellegung für eines von zwei Schiffen der „Global”-Klasse – die größten Kreuzfahrtschiffe, die jemals in Deutschland gebaut wurden.

Diese Ozeanriesen setzen ganz neue Maßstäbe, auch für die erfahrenen Schiffbauer im Nordosten. Sie haben eine Länge von über 340 Metern und bieten Platz für 5.000 Passagiere und 2.500 Crewmitglieder. „Schiffe dieser Größenordnung können nur mit Fertigkabinen kosten- und zeiteffizient gebaut werden“, sagt Jarmo Laakso, Geschäftsführer der MV Werften. „Die Module unserer Wismarer Kollegen werden qualitativ und technisch auf höchstem Niveau und zu wettbewerbsfähigen Preisen gefertigt.“

Sein Kollege Johannes Gößler deutet auf einen Bauplan an der Hallenwand, auf dem die verschiedenen Decks eines Schiffs zu erkennen sind. „Sie müssen sich das wie perfekt möblierte Container vorstellen, die man aufeinanderstapelt. Allerdings haben unsere Module keine tragenden Wände. Sie benötigen also eine passende Rahmenkonstruktion, die sie aufnimmt.“

Ähnliche Konzepte gibt es zwar auch schon bei anderen deutschen Werften, aber der grundsätzliche Ansatz der Wismarer ist etwas anders. „Wir setzen vor allem auf Standardisierung“, sagt Geschäftsführer Volker Asmus. „Je weniger Varianten, desto besser.“ Das gilt natürlich auch für die Waschbecken, Sofas, TV-Monitore und sonstigen Einrichtungsgegenstände. Diese Rationalisierung erleichtert nicht nur den Kollegen aus dem Beschaffungswesen das Geschäft, sondern auch dem Montage- und Wartungspersonal.

Jede Menge neue Jobs durch das Investitionsprogramm

Asmus: „Die Kabinenfabrik ist ein Herzstück unserer Werftengruppe und Teil eines großen Investitionsprogramms. Insgesamt wollen wir über 160 Millionen Euro an den drei Standorten investieren, um MV Werften zu einem der effizientesten Passagierschiffbauer der Welt zu machen.“

Aktuell beschäftigt die Kabinenfabrik etwa 60 Mitarbeiter, mittelfristig sollen es bis zu 200 werden. Gesucht werden vor allem handwerklich geschickte Mitarbeiter für die Flowline, Projektleiter, Tischler und Elektriker.

Begegnung mit...

Alles nach Plan: Kaya (rechts) im Gespräch mit einem Kollegen. Foto: Augustin
Alles nach Plan: Kaya (rechts) im Gespräch mit einem Kollegen. Foto: Augustin

Ronny Kaya: Ein Mann mit viel Erfahrung

Am Tag unseres Reportage-Termins in Wismar hat Ronny Kaya Geburtstag, aber er macht kein großes Thema daraus. Die Kollegen gratulieren, dann wird weitergearbeitet. Ehrensache, der Laden muss ja laufen. „Feiern können wir immer noch“, sagt der 36-Jährige, „aber jetzt hat die Produktion erst mal Vorrang.“

Der gelernte Bau- und Möbeltischler stammt wie die meisten seiner Kollegen aus Wismar und hat schon einiges von der Welt gesehen. Nach der Lehre ging er zunächst für zwei Jahre nach Oslo, weil es daheim keine passenden Jobs gab. Danach verbrachte er ein Jahr in Dänemark und arbeitete im Innenausbau, später war er noch in einer Firma für Bauelemente tätig.

2016 wurde er erstmals Vater, 2017 Mitarbeiter der MV Werften Fertigmodule GmbH. Eine Entscheidung, die er nicht bereut. „Der Job ist klasse“, sagt er. „Wir sind hier wie eine Familie.“

Mein Job

Wie kamen Sie zu Ihrem Job?

Ich hörte 2016 von der Gründung der Firma und habe mich gleich beworben. Das Gespräch lief super, und wenig später kam der Vertrag.

Was gefällt Ihnen besonders?

Wir haben hier ein tolles Betriebsklima und eine unheimlich spannende Aufgabe. Da macht die Arbeit richtig Spaß.

Worauf kommt es an?

Man sollte technisches Interesse und handwerkliches Geschick mitbringen. Und natürlich ist es ein Vorteil, wenn man Schiffe mag. Eine Bedingung ist das aber nicht.

Clemens von Frentz
Leiter aktiv-Redaktion Nord

Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.

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