Ingolstadt/Coburg/Regensburg. Arbeiten mit dem iPad: Für die Auszubildenden von Audi in Ingolstadt, aber auch an den Standorten Neckarsulm, Györ und Brüssel, ist das längst total normal. Der Nachwuchs des Autoherstellers steuert mit dem Tablet-PC Übungsanlagen, beschafft Informationen oder nutzt es, um selbstständig zu lernen. „Wir bereiten unsere Auszubildenden so auf die digitale Arbeitswelt vor“, sagt Wolfgang Straube, Leiter Aus- und Weiterbildung Fertigungsprozesstechnik bei Audi und zugleich Projektleiter „Mobile Learning“.
Programmieren statt Schweißen im Fokus
Die Digitalisierung der Arbeitswelt, auch bekannt unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“, ist dabei, die Abläufe in Bayerns M+E-Betrieben grundlegend zu verändern. Und das hat natürlich auch Folgen für die Beschäftigten.
Wenn sich die Produktion zum Beispiel immer mehr vernetzt, reicht es nicht mehr aus, dass Mitarbeiter bloß ihre Maschine im Blick haben. Sie müssen darüber hinaus zunehmend auch Produktionsdaten lesen, auswerten und interpretieren können – und daraus auch noch eigene Schlüsse ziehen. Dazu brauchen sie andere Kompetenzen als früher.
Die Arbeitgeberverbände der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (M+E), bayme und vbm, haben nun die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Aus- und Weiterbildung untersuchen lassen. Zentrales Ergebnis der Studie unter Leitung des Bremer Berufsbildungsexperten Georg Spöttl: Die Industrie 4.0 verändert bereits heute die Anforderungen in vielen beruflichen Handlungsfeldern. Alle M+E-Berufsbilder in der Ausbildung sollten daher nach und nach überarbeitet werden.
Wie sehr die Digitalisierung bereits heute Einfluss auf die Ausbildung hat, zeigt ein Blick zum Autozulieferer Brose in Coburg. Vor wenigen Jahren noch beschäftigten sich dort etwa angehende Mechatroniker schwerpunktmäßig mit manuellen Fertigungstechniken, Schweißverfahren oder elektrischen Steuerungen. „Heute steht das vernetzte Arbeiten im Fokus“, sagt Michael Stammberger, der Leiter Aus- und Weiterbildung bei Brose. Gefragte Kompetenzen sind nun etwa das Programmieren, das Übermitteln von Daten oder das digitale Verknüpfen von Maschinen und Produkten.
Brose vermittelt dieses neue Wissen mit neuen Konzepten – und mit neuer Technik, wie etwa dem Tablet-PC. „Er unterstützt nicht nur bei der Beschaffung von Informationen und beim Lernen, sondern ist mit entsprechenden Apps auch wichtig für die Produktionssteuerung“, sagt Stammberger. „Digitale Medien sind heute Werkzeuge, die man beherrschen muss.“
Viele Auszubildende bringen natürlich schon Vorkenntnisse für die digitale Welt mit – und sind so ihren Ausbildern in manchen Bereichen sogar voraus. „Das erfordert ein Umdenken“, sagt der Ausbildungschef. Und es fördere eine positive Entwicklung: „Der Ausbilder vermittelt nicht nur sein Wissen, sondern er wird zum Lernbegleiter.“
Stammberger sieht die „digitale Ausbildung“ in vielen Betrieben auf einem guten Weg. Nun müssten jedoch auch die Berufsschulen noch nachziehen, fordert er. Wichtig seien vor allem überarbeitete Lehrpläne. Auch bei der Ausstattung mit moderner Technik bestehe Nachholbedarf. Und leider gebe es immer noch Lehrer, die moderne Lernkonzepte nicht konsequent umsetzen würden. „In Unternehmen ginge das so nicht“, sagt Stammberger. „Wir müssen uns stetig verändern und anpassen, um wettbewerbsfähig zu sein.“
Die Digitalisierung verändert auch andere Branchen. Zum Beispiel die Energietechnik. Die Maschinenfabrik Reinhausen (MR) in Regensburg, ein Hersteller von Stufenschaltern für Transformatoren, beschäftigt sich bereits seit einigen Jahren mit vernetzter Produktion und softwaregesteuerten Maschinen.
Das Vernetzen von Mensch und Maschine braucht Zeit
Die Oberpfälzer haben unter anderem eine IT-Steuerung für zerspanende Arbeitsgänge wie Drehen, Fräsen und Schleifen entwickelt. Die Lösung hat sich im Betrieb bewährt und kommt sogar in vielen anderen Unternehmen zum Einsatz.
Klar, dass das Vernetzen von Menschen und Maschinen nicht auf einmal geht. Damit alle mitkommen, wird bei Reinhausen viel in die Weiterbildung der Mitarbeiter investiert. „Vernetzte Produktion lässt sich nicht mit einem Fingerschnipp ins Unternehmen bringen“, sagt Gerold Hasel, der Personalleiter von MR. „Das ist ein längerfristiges Projekt.“
Bei MR setzt man auf die eigenen Fachkräfte. „Wir qualifizieren sie systematisch weiter“, so Hasel, „denn wir brauchen Menschen, die die vernetzten Systeme verstehen und bedienen können.“
Auch die Auszubildenden von Reinhausen werden im Umgang mit digital gesteuerten Maschinen geschult. Wie Pneumatik und Sensorik in einer vernetzten Anlage zusammenspielen, üben die jungen Leute beispielsweise an einer sogenannten MPS-Station (die Abkürzung steht für „Modulares Produktionssystem“).
Der Nachwuchs lernt dort den Aufbau und die Inbetriebnahme moderner, digitaler Industrieanlagen kennen, damit sie später komplexe Maschinen warten und umrüsten können – und schnell sehen, wo der Fehler steckt. Außerdem führte die Firma den neuen Ausbildungsberuf System-IT-Elektroniker ein.
Schraubenschlüssel und Lötkolben brauchen die Reinhausen-Azubis zwar heute immer noch. Doch für die Arbeit in der vernetzten Fabrik müssen sie sich immer besser mit IT und Elektronik auskennen. Der Tablet-PC ist auch hier in der Ausbildung nicht mehr wegzudenken – genauso wie auch bei Brose und Audi.
Das bringt auch ganz andere Vorteile. „Wir holen unsere jungen Leute mit den modernen Medien genau da ab, wo sie ohnehin täglich sind“, sagt Audi-Projektleiter Straube. Und das zahle sich für alle auch aus. „Die Motivation zu lernen, ist mit digitaler Hilfe deutlich größer – und es bleibt langfristig auch mehr hängen.“
Auf einen Blick: Die Studie der Arbeitgeberverbände

- Industrie 4.0 verändert bereits heute die Anforderungen an Fachkräfte, und ihr Einfluss wird weiter wachsen.
- Firmen entwickeln individuelle Lösungen für ihre Auszubildenden.
- Neues Berufsbild „Industrie 4.0“ ist nicht nötig; besser aktuelle Profile anpassen.
- Neue Perspektive auf den Umgang mit Daten und Informationen ist gefragt.
Interview

„Berufsbilder gehören überarbeitet“
Warum die Digitalisierung die Ausbildung verändert, erklärt Professor Georg Spöttl, Direktor des Zentrums für Technik, Arbeit und Berufsbildung in Bremen.
Weiß der Industriearbeiter im digitalen Zeitalter noch, wie seine Maschine funktioniert? Oder sitzt er nur am Computer?
Mechanisches Verständnis bleibt wichtig. Aber die Produktion vernetzt sich. Daher sollten Mitarbeiter etwa nicht mehr nur eine Maschine, sondern den gesamten Produktionsprozess im Blick haben – und ihn verstehen. Nur so findet man zum Beispiel Fehler. Das muss in der Ausbildung bereits heute berücksichtigt werden.
Der Nachwuchs muss lernen, digitale Daten auszulesen und Informationen zu bewerten?
Unter anderem. Etwas überspitzt kann man sagen: Früher hat man den Schraubenzieher gebraucht, um in eine Maschine hineinzuschauen. Heute ist es der Laptop.
Wie weit sind die Betriebe dabei, die Kompetenzen zu vermitteln?
Das hängt von der Firma ab. Die Spannbreite ist enorm. Gerade kleine Betriebe schaffen es oft nicht alleine. Deshalb sollten nach und nach die verschiedenen Berufsbilder von den Sozialpartnern überarbeitet werden. Nur dann können auch die Lehrpläne an den Berufsschulen geändert werden.
Kommt dann noch jeder Auszubildende mit?
Als es vor 30 Jahren mit der computergestützten Produktion anfing, hat auch jeder gedacht: Wie sollen die Hauptschüler das nur schaffen? Das Vermitteln von Kompetenzen scheitert nicht an Personen, sondern an Konzepten.
Und die gibt es?
Viele Betriebe wissen, worauf es in der digitalen Welt ankommt und wie man nötige Kompetenzen vermittelt. Dieses Wissen gilt es in den kommenden Jahren anzuzapfen.