Sauerlach. Es hat geschneit in der Nacht. Ein grauer Himmel hängt schwer und tief. Ein oberbayerischer Wintermorgen, zwischen den Wipfeln des Waldes wabern Nebelfetzen wie riesige Spinnweben. Johann Killer ist ganz in seinem Element: „Herrlich hier, oder?“ Es ist mehr Feststellung als Frage.

Seit Tagesanbruch streift Killer schon durchs Unterholz, unter seinen groben Stiefeln knacken Äste, Tannennadeln rieseln vom Filzhut. Der Mann geht nicht spazieren – er schaut nach dem Rechten. Genauer: nach den Bäumen. Wie ein Vater nach seinen Kindern.

Killer ist Waldbauer. Sein Job: „Diesen Wald hier bewirtschaften, pflegen und schützen.“ Dafür muss der 57-Jährige Naturschutz und Holzerzeugung unter einen Hut bringen. Und nahezu täglich mal eben 100 Jahre in die Zukunft schauen. „Was ich heute entscheide, bestimmt darüber, wie der Wald für meine Enkel aussieht.“ Und darüber, ob es ihn dann überhaupt noch gibt …

„Der Wald ist relevanter als jede Großbank“

Der deutsche Wald – er ist ein Mythos. Mächtig wie eine alte Eiche. Und ein Multitalent. Der Wald ist Wurzel unserer kulturellen Identität. Ein gigantischer Naturschatz. Und: Er ist Arbeitsplatz, Job-Garant für einen stetig wachsenden Industriezweig. Mit Milliardenumsätzen. „Wegen seiner Bedeutung als Wirtschafts- und Lebensraum ist der Wald systemrelevanter als jede Großbank“, sagt Philipp Freiherr zu Guttenberg, Präsident der privaten Waldeigentümer in Deutschland.

11,5 Millionen Hektar, ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands, ist bewaldet. Sehnsuchtsort und Kraftquell für Millionen, Klimaanlage und Luftfilter, dazu verlässlicher Lieferant des wichtigsten nachwachsenden CO2-neutralen Rohstoffs überhaupt: Holz.

Und dafür, dass dieses Multitalent wachsen und gedeihen kann, sorgen in Deutschland nicht zuletzt die zwei Millionen privaten Waldeigentümer.

Waldeigentümer – wie das klingt. So nach Großgrundbesitz, altem Adel und besserer Gesellschaft. Fragt man Johann Killer in seinem oberbayerischen Waldstück danach, dröhnt sein Lachen zwischen den Tannen wie der Ruf eines Hirschs.

„Städter mögen das denken“, sagt er dann. „Aber Waldbau ist harte Arbeit, gefährlich noch dazu. Und nichts für Menschen, die aufs schnelle Geld aus sind.“ Mit eiligem Schritt schnürt Killer durch seinen Forst, fast rastlos, über hart gefrorenen Boden und weiche Polster aus Buchenlaub. Hinter einer Biegung liegen ein paar mächtige Fichtenstämme am Rand des Wirtschaftswegs. „Gestern gefällt“, sagt Killer und stellt den Fuß auf eines der Rundhölzer.

Gutes Holz sei das, schön gerade, wenig Äste. Was da nun liegt und auf den Transport ins Sägewerk wartet, stand vorher gut 100 Jahre aufrecht im bayerischen Wind.

Mehr zum Thema

Niemals mehr fällen, als nachwächst

„Diese Bäume hier haben zwei Kriege gesehen“, sagt Killer. Dann kam seine Motorsäge. Die aber setzt Killer nur mit Bedacht ein. Grundregel: „Ein guter Waldbauer haut seinen Wald nicht zusammen. Wir schlagen nicht mehr, als nachwächst.“

Und das gilt auch insgesamt: Rund 120 Millionen Kubikmeter Holz wachsen in deutschen Wäldern im Jahr nach. Geschlagen aber werden lediglich 53 Millionen Kubikmeter, so die amtliche Statistik fürs Vorjahr.

Rund 20 Prozent der Ernte werden derzeit energetisch genutzt, also vor allem verbrannt. Der Löwenanteil geht in die Bauwirtschaft, an Möbelbauer, in die Papier- und Zellstoff-Industrie. Insgesamt leben hierzulande über 1,2 Millionen Menschen in 185.000 Betrieben direkt oder indirekt vom Wald. Jährlicher Umsatz: rund 180 Milliarden Euro!

Die Nachfrage nach Holz, das bestätigt auch Waldbauer Killer, ist groß. Problem: „Die Preise sind im Keller, und wir kriegen sie seit Jahren nicht richtig hoch, trotz boomender Baukonjunktur.“

Ein Grund dafür: das Wetter. „Dürre, Unwetter und Käfer setzen unserem Wald zu“, sagt Hans Ludwig Körner, Geschäftsführer des Bayerischen Waldbesitzerverbands. Sein Wort hat in der Branche Gewicht – Bayern ist das waldreichste Bundesland. Käferbefallenes oder vom Sturm geknicktes Schadholz unterliegt einem enormen Preisverfall, daher kommen viele Waldbesitzer kaum noch auf einen grünen Zweig. „Unterstützt der Staat hier nicht, werden viele das Interesse an ihrem Wald verlieren“, warnt Körner. „Es ist kurz vor zwölf!“

Und das nicht nur in Bayern. In Nordrhein-Westfalen etwa gilt jeder zweite Baum als stark geschädigt. In Baden-Württemberg steht es um ein Drittel aller Bäume nicht besonders gut.

Die Natur oder der Mensch – wer hat das bessere Händchen für den Hain?

Johann Killer, der umtriebige Waldbauer aus Oberbayern, hat da noch Glück. „Mein Wald hat guten Boden, speichert viel Wasser, deshalb gab es kaum Schäden“, sagt er. Killer sitzt jetzt am Steuer seines alten Skodas, der Wagen poltert über den Waldweg, und Killer erzählt aus seinem Leben. Mit 21 Jahren übernahm er den Wald vom Vater: 70 Hektar, viel Fichte und Kiefer, dazu Buche und Tanne.

Zum Waldbauern werde man geboren, findet er: „Im Büro sitzen, das wäre nie infrage gekommen.“ Und Urlaub? Einmal habe ihn einer beiseitegenommen: Du, Johann, spann doch mal aus, fahr nach Mallorca. „I mog net“, habe er geantwortet, „fahrt’s halt selbst.“

Rund 1.000 Kubikmeter Holz erntet Killer mit seinen Söhnen pro Jahr. Die Kunden: Sägewerke, die es zu Konstruktionsholz für den Hausbau verarbeiten. Das bringt zwar keine Spitzenpreise. „Aber es unterliegt auch keinen Moden wie Holz für die Möbel-Industrie.“

aktiv Podcast, Folge 10: Geht uns das Wasser aus?

Die Sommer, in denen viel zu wenig Regen fällt, häufen sich. Auch der Sommer 2022 gehört dazu. Es ist zu trocken. Und das hat Folgen für Industrie, Landwirtschaft und Verbraucher. Ein Beispiel: Schiffe können über Wasserwege nicht mehr problemlos Materialien transportieren. Also steigen die Preise für viele Produkte weiter. Und auch im Wald kann man die dramatischen Folgen der Dürre beobachten. Uli Halasz bringt seine Eindrücke aus dem Diersfordter Wald bei Wesel mit. Der aktiv-Reporter spricht mit Nadine Bettray über mögliche Lösungen und warum sogenannte Schwammstädte für eine bessere Wassernutzung in Ballungsgebieten sorgen können. 

Jetzt reinhören und dazu einfach unten in der roten Box auf „Jetzt aktivieren“ klicken. Viel Spaß!

Empfohlener externer Inhalt: Podigee

Dieser Artikel wird an dieser Stelle durch einen externen Inhalt von Podigee bereichert, den unsere Redaktion ausgewählt hat. Bevor wir diesen Inhalt anzeigen, benötigen wir Ihre Einwilligung. Natürlich können Sie das Element eigenhändig wieder deaktivieren oder Ihre Cookies löschen.

Die Natur oder der Mensch – wer hat das bessere Händchen für den Hain?

Johann Killer, der umtriebige Waldbauer aus Oberbayern, hat da noch Glück. „Mein Wald hat guten Boden, speichert viel Wasser, deshalb gab es kaum Schäden“, sagt er. Killer sitzt jetzt am Steuer seines alten Skodas, der Wagen poltert über den Waldweg, und Killer erzählt aus seinem Leben. Mit 21 Jahren übernahm er den Wald vom Vater: 70 Hektar, viel Fichte und Kiefer, dazu Buche und Tanne.

Zum Waldbauern werde man geboren, findet er: „Im Büro sitzen, das wäre nie infrage gekommen.“ Und Urlaub? Einmal habe ihn einer beiseitegenommen: Du, Johann, spann doch mal aus, fahr nach Mallorca. „I mog net“, habe er geantwortet, „fahrt’s halt selbst.“

Rund 1.000 Kubikmeter Holz erntet Killer mit seinen Söhnen pro Jahr. Die Kunden: Sägewerke, die es zu Konstruktionsholz für den Hausbau verarbeiten. Das bringt zwar keine Spitzenpreise. „Aber es unterliegt auch keinen Moden wie Holz für die Möbel-Industrie.“

Auf einer Anhöhe stoppt Killer, steigt aus und atmet tief ein, dann zeigt er auf den Wald ringsum. Luftig sieht der aus, turmhohe Tannen neben Fichten, kleine Buchen, der Boden sattgrün vom Moos. „Hier“, sagt er, „aufgeräumte Unordnung! Das ist Waldbau!“ Die Bäume sich selbst überlassen, die Natur einfach Natur sein lassen, wie es viele Waldromantiker heute fordern – das sei ein Holzweg, findet Killer. „Ein gut gepflegter Wirtschaftswald ist artenreicher, die Biodiversität vielfältiger.“

Nur Mischwald kann dem Klimawandel trotzen

 Deshalb stromert Killer so wie an diesem Tag stundenlang durch seinen Forst. Lässt das Totholz dort, wo es gefallen ist, um den Boden mit Nährstoffen zu versorgen. Und schaut, wo er die Säge ansetzen muss, damit die verbleibenden Bäume gedeihen können, mehr Luft und vor allem mehr Sonne abbekommen: „Waldbau ist das Spiel mit dem Licht.“ Von Monokulturen, leichte Beute für Stürme und Schädlinge, hält der erfahrene Waldmann dabei ebenso wenig wie von der Pflanzung „moderner“ Baumsorten wie Douglasie oder Bergahorn. „Es gibt keinen Wunderbaum! Der artenreiche Mischwald ist die einzige Antwort auf den Klimawandel.“ Und die einzige Chance für die Waldbauern auf dauerhaft stabile Erträge. Es könne ja ohnehin keiner sagen, mit welchen klimatischen Bedingungen man in 50, in 100 Jahren zu rechnen habe. „Aber wir Waldbauern müssen trotzdem heute schon entscheiden, wie unser Wald dann aussehen soll.“ Denn jeder Tag, jede draußen gefällte Entscheidung bestimme das Gesicht des Waldes für die kommenden Generationen. Ganz schön viel Verantwortung. Für den Mythos Wald, der alles sein muss: Erholungsort und Klimaanlage und gut geführtes Wirtschaftsunternehmen. Killer, jetzt auf dem Weg zum Mittagessen auf dem heimischen Hof, schmunzelt. Ja, komplex sei die ganze Sache schon. sagt er. Und dann: „Am Ende ist es mit den Bäumen im Wald so wie am Stammtisch. Wenn die Alten nicht sterben, haben die Jungen keinen Platz.“  

Wald-Splitter

  • Ein Hektar Waldboden speichert bis zu drei Millionen Liter Wasser.
  • Der deutsche Wald erzeugt jährlich bis zu 38 Millionen Tonnen Sauerstoff – je nach Wetter.
  • Im Holz und im Boden unserer Wälder sind rund 2,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gebunden.
  • Seit Jahrzehnten „verlichten“ die Kronen der Laubbäume immer mehr – das zeigt an, dass die Bäume geschwächt oder sogar ernstlich krank sind.
  • Bestattungswälder werden immer beliebter. Eine Beerdigung unter Bäumen ist schon an etwa 500 Standorten bundesweit erlaubt.