Roding. Experten sind sich einig: Um den absehbaren dramatischen Rückgang an qualifizierten Arbeitskräften auszugleichen, muss vieles gleichzeitig geschehen. Sinnvoll gesteuerte Zuwanderung, Förderung für die Ungelernten im Land, die stärkere Einbeziehung von Älteren. Und: mehr Frauen in die Arbeitswelt.

Das riesige Potenzial von Millionen Müttern, die wegen des Nachwuchses nicht den Weg ins Berufsleben finden, rückt in den Blick. Geht nicht? Gibt’s nicht! Wer das nicht glaubt, der kennt wahrscheinlich noch nicht die Geschichte von Kerstin Rack (33).

 

 

Die Oberpfälzerin ist alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern (sieben und neun). Und trotzdem hat sie im vergangenen September eine Ausbildung begonnen. In Teilzeit. Rack, eine gelernte Restaurantfachfrau, fängt beruflich noch einmal ganz von vorn an und will Maschinen- und Anlagenführerin werden. „Das ist vermutlich meine letzte Chance für etwas Neues“, sagt sie.

Möglich macht dies das ungewöhnliche Modell des Präzisionstechnikherstellers Stangl & Kulzer in Roding im Oberpfälzer Wald. „Um qualifiziertes Personal zu bekommen, müssen wir schon heute alle Möglichkeiten ausschöpfen, die wir haben“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Johann Stangl.

Morgens um fünf klingelt der Wecker

Seine Firma beschäftigt deshalb zum Beispiel auch tschechische Mitarbeiter, die von jenseits der nahen Grenze pendeln. Im Betrieb gibt es zudem auch Auszubildende, die schon über 40 Jahre alt sind. Und Kerstin Rack ist hier bereits die dritte Teilzeit-Auszubildende. Sie wurde auf die Möglichkeit angesprochen, als sie sich als Hilfskraft bewarb.

Einfach ist ein solches Teilzeit-Modell nicht. Für beide Seiten. An einem gewöhnlichen Arbeitstag im Betrieb etwa klingelt Racks Wecker morgens um 5 Uhr. Eine halbe Stunde später macht sie sich auf den Weg zur Arbeit. Ihre beiden Töchter lässt sie schlafend zurück. Allein.

„Am Anfang habe ich dabei schon ein schlechtes Gewissen gehabt“, sagt Rack. Da half auch nicht, dass der Opa im ersten Stock wohnt, gleich obendrüber. Für die Kinder klingeln morgens drei Wecker: zum Aufstehen, zum Anziehen und zum rechtzeitigen Rausgehen, um den Bus zur Schule zu erwischen. „Wir haben das wochenlang zusammen eingeübt“, sagt die Mutter. „Und ich bin richtig überrascht, wie problemlos alles klappt.“

Racks Teilzeitmodell ist genau getaktet und geplant. Aber nur so funktioniert es. Montag ist Berufsschule, freitags ist sie im Betrieb. Am Mittwoch wechselt es von Woche zu Woche. Dienstag und Donnerstag ist für die Auszubildende frei. Insgesamt hat sie eine 25-Stunden-Woche.

„Zwei freie Tage in der Woche – das ist der Spielraum, den ich unbedingt brauche“, sagt Rack. So kann sie zum Beispiel auch mal außer der Reihe arbeiten, um zusätzliche freie Tage anzusammeln. Die benötigt sie vor allem während der 14 Wochen Schulferien. „Meine Ausbildung funktioniert als Alleinerziehende nur mit dieser Flexibilität“, erklärt die Mutter. „Und manchmal geht es auch nicht ohne Wohlwollen und Entgegenkommen des Arbeitgebers.“

Ausnahmen vom Handy-Verbot

Dabei sind es nicht nur die Arbeitszeiten. So herrscht für die Beschäftigten der Firma Stangl & Kulzer zum Beispiel normalerweise ein striktes Handy-Verbot am Arbeitsplatz – doch für Rack gibt es da eine Ausnahme: Sie darf morgens ihre Kinder kontaktieren, um zu hören, ob alles geklappt hat. Und ihr Telefon kann den Tag über angeschaltet bleiben – für Notfälle.

„Wir appellieren nicht nur hier an Ehrlichkeit und Offenheit der Mitarbeiter“, erklärt Markus Gruber, der stellvertretende Ausbildungsleiter von Stangl. Gemeinsam finde man fast immer einen Weg. „Wir versuchen, Rücksicht zu nehmen, wo es nur möglich ist“, sagt er. „Aber immer geht es einfach nicht.“

Gemeinsame Veranstaltungen für alle Auszubildenden sind so ein Beispiel, etwa Unterricht im Betrieb. Rack ist in der Regel in jeder zweiten Woche nur an einem Tag in der Firma, während der Schulferien aber auch über Wochen gar nicht. „Das macht die Koordination für gemeinsame Termine natürlich schwierig“, sagt Gruber. Sie muss deshalb im Zweifel Dinge allein nacharbeiten oder sich wichtige Informationen bei Kollegen einholen.

Sind die Kinder im Bett, wird gelernt

„Teilzeit-Azubis müssen sich viel besser organisieren“, erklärt Gruber. „Aber das klappt in der Regel.“ Bei Müttern und Älteren sieht er da ohnehin keine großen Probleme: „Sie sind ehrgeiziger, reifer und wissen, worauf es im Leben ankommt.“

Für die Alleinerziehende Rack bedeutet ihre Ausbildung Einbußen bei der Freizeit. Um 15 Uhr holt sie ihre Töchter aus der Schulbetreuung ab. Dann kümmert sie sich am Nachmittag um sie. Gegen 19 Uhr geht’s für die beiden ab ins Bett. „Danach habe ich noch drei Stunden für mich“, sagt sie. „Denn um zehn bin ich tot.“ In diese Zeit muss sie neben der Hausarbeit noch das Lernen für die Berufsschule reinquetschen.

All die Mühe sei es aber wert, betont die Alleinerziehende: „Ich hätte nie gedacht, dass mir das Arbeiten in der Industrie so viel Spaß macht“, sagt Rack. „Ich hatte auch gar keine Vorstellung davon.“ Zudem stimme der Verdienst.

Nichts wünscht sich die Teilzeit-Auszubildende deshalb mehr, als einen guten Abschluss zu machen und danach bei Stangl & Kulzer übernommen zu werden. Weiter denkt sie noch nicht: „Seit ich Kinder habe, plane ich nicht mehr langfristig.“

Persönlich

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf? 

Ich habe eigentlich nur eine Stelle als Hilfskraft gesucht. Als mir eine Ausbildung in Teilzeit angeboten wurde, habe ich die Chance genutzt.

Was reizt Sie am meisten?

Das Arbeiten mit großen und teuren Maschinen, für die ich schon im ersten Lehrjahr oft allein die Verantwortung trage.

Worauf kommt es an?

Ich muss genau und gewissenhaft arbeiten, damit keine Fehler passieren. Dazu gehören auch Ordnung und Sauberkeit.