Wilsum. Mit geschickten Fingern zupft Mohamad Zarour das Matrosenhemd zurecht. „Auch Kleinigkeiten sind wichtig“, sagt der gebürtige Syrer und lauscht seiner Kollegin Frieda Hekhuis. Sie erklärt ihm, wie der feuchte Baumwollstoff auf der Dämpfpuppe in Form kommt.
Der 27-jährige angehende Produktprüfer packt beim Textilunternehmen WKS im niedersächsischen Wilsum an, wo er kann, fragt auch schon mal mehrmals nach, wenn für ihn etwas unklar bleibt. „Technische Begriffe sind für mich oft noch schwierig zu verstehen“, gibt er zu: Toppen, Finishen oder bindungsgerechtes Stopfen – bei solchen Worten fliegen seine Finger, trotz sechsmonatigem Deutschkurs, durch die Luft. Als wollten sie dort die Bedeutung hervorholen.
Ich baue hier an meiner Zukunft und schaue nicht zurück
Zarour ist ein Pionier. Laut Gesamtverband Textil + Mode in Berlin gibt es bundesweit erst eine Handvoll Flüchtlinge in einer textilen Ausbildung. Der Schritt ist gewagt – auch für WKS.
„Die Ausbildung könnte für Migranten und Unternehmen eine Win-win-Situation werden“, so Jörg Brune, Geschäftsführungsmitglied bei dem Unternehmen, das an acht Standorten in sieben Ländern insgesamt 500 Beschäftigte hat. Es ginge darum, junge Fachkräfte für die Branche zu gewinnen.
„Ich baue hier an meiner Zukunft und schaue nicht zurück“, sagt Zarour. Dort wäre für ihn nicht mehr viel zu finden. Der eigene Textilbetrieb in Homs, in dem er Damenschlafanzüge produzierte, liegt in Trümmern. Seine Existenzgrundlage war dahin, sein Leben durch Scharfschützen in Gefahr. 2012 ging er deshalb aus seiner Heimat fort. „Mein Bruder hat in Deutschland studiert und mir vorgeschlagen, hierherzukommen.“
Seine Flucht über die Türkei, Italien und Frankreich dauert zweieinhalb Jahre, kostet über 10.000 Euro. Anfang Januar 2015 stieg Zarour in Dortmund aus dem Zug – mit nichts als seinem Smartphone und der Kleidung, die er gerade trug. „Trotzdem war es ein gutes Gefühl.“ Den Asylantrag stellte er am nächsten Tag.
Die Aufenthaltserlaubnis endet am Tag der Abschlussprüfung
Den Weg zum Ausländeramt suchte er selbst – übers Smartphone. „Dann habe ich mir ein neues T-Shirt und eine Hose gekauft.“ Von Dortmund ging es für 24 Tage ins Aufnahmelager Bramsche, dann nach Neuenhaus, unweit von Wilsum. Seit Juli 2015 ist Zarour als Flüchtling anerkannt. Rumsitzen geht für ihn gar nicht: „Ich will weiterkommen.“ Seine Zielstrebigkeit brachte ihn über das Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft zu WKS. „Nach einer Woche Praktikum waren wir begeistert von ihm“, sagt Personalreferentin Helga Wolterink. Er brachte textile Vorkenntnisse mit, war wissbegierig und engagiert.
Zarour wohnt in einer Dachgeschosswohnung nahe am Betrieb. „Da bin ich morgens schnell auf der Arbeit.“ Er hat Freunde gefunden, mit denen er feiert oder Sport treibt. Sie haben bei der Wohnung geholfen, spendeten Waschmaschine, Schrank und Schreibtisch: „Daran lerne ich abends für die Zwischenprüfung.“ Mit seiner Ausbilderin paukt er jede Woche vier Stunden Fachbegriffe im Betrieb.
Wie die Zukunft aussieht? „Erst die Ausbildung schaffen, dann will ich mich weiterbilden.“ Die Aufenthaltserlaubnis endet am Tag der Abschlussprüfung. Sein Arbeitgeber will darum kämpfen, dass er bleiben kann.
„Wenn er die Ausbildung schafft, hat er durchaus eine berufliche Perspektive bei uns“, sagt Jörg Brune. In Deutschland und in der Türkei, wo WKS auch tätig ist. Zarour spricht gut Türkisch und Arabisch. So wäre er der Heimat wieder nahe. Nicht als Flüchtling, sondern als ausgebildete Fachkraft.
Persönlich
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Ich hatte schon in meiner Heimat einen Textilbetrieb. Das Wissen kann ich jetzt gut gebrauchen, um hier Fuß zu fassen.
Was reizt Sie am meisten?
Mit meiner Ausbildung will ich mir in Deutschland eine Zukunft aufbauen. Hier habe ich ganz andere Chancen als in Syrien.
Worauf kommt es an?
Dass man immer dranbleibt und nicht aufgibt. Und auf die Hilfe meiner Kollegen. Ohne sie wäre ich noch lange nicht so weit gekommen, wie ich es jetzt bin.