Ingolstadt/Peißenberg/Nabburg. Ob der Brexit für Großbritannien wirklich so clever war? Umfragen zeigen: Die Briten würden heute wohl doch lieber in der EU bleiben. Die 2016 im Wahlkampf erhitzten Gemüter haben sich abgekühlt – da ziehen anscheinend auch gleich die nüchternen ökonomischen Argumente für einen gemeinsamen Binnenmarkt deutlich besser.
Die wirtschaftlichen Vorteile durch die EU sind schließlich groß: Die Bürger zum Beispiel können günstiger einkaufen; für Unternehmen sinken die Kosten und wachsen die Absatzmärkte. Und Europa als Ganzes bringt global deutlich mehr Gewicht auf die Waage als die Einzelstaaten alleine – etwa beim Aushandeln von Handelsabkommen.
All das gilt natürlich nicht nur für Großbritannien am Rande des Kontinents, sondern erst recht für Deutschland im Herzen Europas und insbesondere für eine wirtschaftsstarke und exportorientierte Region wie Bayern.
Die Wirtschaft des Freistaats ist eng mit Europa verzahnt, der EU-Binnenmarkt von immenser Bedeutung. Viele Kunden sitzen in Europa, Wertschöpfungsketten sind längst europäisch geknüpft. Die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie (M+E) etwa exportieren rund 51 Prozent ihrer Waren in EU-Staaten. Auch wenn man Großbritannien rausgerechnet, sind immer noch sieben der zehn wichtigsten Zielländer in der EU.

Selbst für global agierende Großkonzerne ist die EU nach wie vor wichtigster Absatzmarkt, etwa für den Auto-Hersteller Audi in Ingolstadt: Er hat im Jahr 2016 weltweit knapp 1,9 Millionen Fahrzeuge verkauft – mehr als 500.000 davon im EU-Ausland. Produktionsstandorte sind über den ganzen Kontinent verteilt, die Wertschöpfung ist grenzüberschreitend organisiert.
Das wichtigste Motorenwerk des Unternehmens etwa ist im ungarischen Györ. Hier produzierte Audi 2016 neben mehr als 120.000 Fahrzeugen knapp zwei Millionen Motoren, auch für andere Marken im Konzernverbund. Das Werk Brüssel wird für Audi gerade zum Schlüsselwerk für Elektromobilität: In diesem Jahr soll in Belgiens Hauptstadt der erste batterieelektrische Audi-SUV vom Band rollen und eine eigene Batteriemontage ihren Betrieb aufnehmen.
Zollgebühren und Verwaltungsaufwand fallen weg
Nutznießer des gemeinsamen europäischen Marktes sind auch mittelständische Firmen – wie der Luftfahrt-Zulieferer Aerotech Peissenberg, rund 50 Kilometer südöstlich von München. Ein Großteil seiner Komponenten für den Triebwerksbau geht an Kunden in Europa. Außerdem bezieht das Unternehmen zahlreiche Rohmaterialien und Vorprodukte aus diversen EU-Ländern.
Vertriebsleiter Bernd Kretschmer erklärt: „Dass innerhalb der EU Zollgebühren wegfallen und der Verwaltungsaufwand für den grenzüberschreitenden Warenverkehr geringer ist, spart uns im Jahr einige Millionen Euro.“ Problemlos habe Aerotech im Jahr 2006 ein Werk in Tschechien aufbauen und eng mit dem oberbayerischen Stammwerk verzahnen können.
Standorte arbeiten eng zusammen – und sind aufeinander angewiesen
In Tschechien, wo die Personalkosten deutlich unter dem deutschen Niveau liegen, produzieren heute rund 150 Mitarbeiter Teile mit hoher Stückzahl. Um Entwicklung, Verwaltung, die Produktion von Kleinserien und die Endbearbeitung mancher Teile kümmern sich im Gegenzug die 450 Kollegen in Peißenberg. „Ohne diese effiziente Arbeitsteilung könnte ich viele Aufträge gar nicht bekommen“, berichtet Kretschmer. Beide Standorte profitierten erheblich voneinander – und seien auch stark aufeinander angewiesen. „Nur dank unseres Werk-Verbunds bleiben wir konkurrenzfähig. Ohne die Vorteile der EU ginge das nicht.“
Auch für den Hausgeräte-Zulieferer emz-Hanauer im oberpfälzischen Nabburg ist ein Standort im nahen Tschechien von zentraler Bedeutung für Gegenwart und Zukunft des Unternehmens. Der Hersteller von Verschlüssen und Sensoren für Waschmaschinen und Geschirrspüler hat seine Fertigungskapazitäten am Standort Černošín zuletzt sogar verdoppelt.
Mittlerweile arbeiten 230 Beschäftigte in dem 1997 gegründeten Werk. „Logistische Vorteile zu den hauptsächlich in Polen produzierenden Herstellern und die niedrigeren Personalkosten in Tschechien helfen uns, als Gesamtunternehmen wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Franz Forster, Mitglied der emz-Geschäftsleitung. Auf sich allein gestellt, hätte es das bayerische Hauptwerk mit seinen 450 Mitarbeitern aufgrund seiner Kostenstruktur schwer gegen Wettbewerber aus Italien oder Slowenien.
Tschechisches Werk liegt kurz hinter der Grenze
Im Verbund mit dem Standort in Tschechien könnten jedoch auch in der Oberpfalz Produktionskapazitäten weiter ausgebaut werden, erklärt Forster. Rund 100 Ingenieure am Stammsitz in Nabburg lieferten zudem mit ihrem Know-how für Entwicklungen den entscheidenden Wettbewerbsvorteil auf den weltweiten Absatzmärkten, von denen die EU der wichtigste für emz ist.
Forster schätzt vor allem die Nähe zum Werk kurz hinter der Grenze – ein Vorteil, den man als ostbayerisches Unternehmen gerne nutze. Von Nabburg bis Černošín ist es nur eine Autostunde, den Grenzübertritt merkt man kaum. Jede Woche sind Kollegen in beide Richtungen unterwegs – trotz zahlreicher Video-Konferenzen der verschiedenen Projekt-Teams.
„Die enge Vernetzung der Standorte ist ein Grund für unseren Erfolg“, sagt Forster. „Und der persönliche Kontakt ist unschlagbar wichtig.“