Schwere Zeiten für die Auto-Industrie: Die Produktion ist eingebrochen, die Gewinne gehen zurück, sogar Werkschließungen werden diskutiert. Im Gespräch mit der Wirtschaftszeitung aktiv erklärt Professor Stefan Bratzel vom Forschungsverbund Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, wie die Branche wieder mehr Fahrt aufnehmen kann.
Herr Bratzel, die Autohersteller sind in der Krise. Ist da die schwache Konjunktur schuld?
Die spielt sicher eine Rolle. Der Markt in Europa ist heute mehr als zwei Millionen Autos kleiner als 2019 vor Corona, als noch über 15 Millionen Pkws verkauft wurden. In China verlieren deutsche Hersteller wegen des scharfen Wettbewerbs Marktanteile. Aber das allein erklärt die Lage nicht.
Wo liegen dann die Ursachen?
Das Problem ist: Die Branche hat die große Transformation, den Wandel hin zur Elektromobilität in den letzten zehn Jahren, in ihrer Tragweite und Geschwindigkeit unterschätzt. Hersteller und Zulieferer waren lange erfolgreich, haben in China viele Gewinne eingefahren, aber nicht kommen sehen, wie massiv der Wandel durch das E-Auto ist.
Warum ist der Wandel so massiv?
Weil es nicht ausreicht, bloß Elektroautos zu bauen. Man muss die gesamte Wertschöpfungskette beherrschen. Dazu gehört auch die Batterieherstellung. Bei den Akkus kann man sich durch Innovation und niedrigere Herstellungskosten Wettbewerbsvorteile verschaffen. China hat die nötige Wertschöpfungskette systematisch aufgebaut, von den Rohstoffen über die Lithiumaufarbeitung bis hin zur Akkuproduktion. Deutschland hat die Aufholjagd erst vor ein paar Jahren gestartet. VW und auch BMW bauen jetzt Akkufabriken.
Welche neuen Kompetenzen braucht die Branche noch, um wieder erfolgreich zu sein?
Software-Know-how. Ohne die geht Autoherstellung heute nicht mehr. Für Innovationen braucht man zu 80 Prozent Software, etwa für die Datenkommunikation oder fürs autonome Fahren. Das ist nicht unbedingt die Stärke unserer Hersteller. Dann müssen sie sich Partner suchen, die Software können und mit denen sie kooperieren. Ein Riesenthema. BMW etwa entwickelt Software in mehreren Gemeinschaftsunternehmen, neuerdings auch in Indien.
Deutsche Hersteller gelten als Innovationstreiber. Ist das nach wie vor so?
China hat mächtig aufgeholt und entwickelt mit enormem Tempo Innovationen. In unserem jüngsten Ranking für Neuerungen in Serienmodellen liegt zwar BMW knapp an der Spitze. Dicht dahinter folgen aber die chinesischen Hersteller Geely und SAIC. Mercedes und Volkswagen belegen die Plätze fünf und sechs. Für dieses Ranking haben wir 709 Innovationen von 30 Autoherstellern nach Neuartigkeit, Originalität, Kundennutzen bewertet.
Wie reagieren die Autobauer? Sehen Sie sie auf dem richtigen Weg?
Ja, sie haben die richtigen Ziele. Aber die Umsetzung ist manchmal zu langsam. Ein Bremsklotz ist der Spagat, sowohl Diesel und Benziner zu entwickeln und zu produzieren als auch Elektrofahrzeuge. Trotzdem sind deutsche Autobauer bei Innovationen schneller geworden. Sie wissen: Nur wer innovativer ist, kann teurer sein. Aber die Chinesen beschleunigen noch stärker. Will man mit dem „China-Speed“ mithalten, muss man die Produktentwicklungszeiten verkürzen. Volkswagen hat das erkannt und kooperiert dazu mit der chinesischen Firma Xpeng, Audi will das zusammen mit dem Hersteller SAIC schaffen.
Das klingt nach ultrahartem Wettbewerb.
Das ist es auch. Dazu kommen große Strukturprobleme am Standort D. Wir produzieren zu teuer, das ist eine unbequeme Wahrheit. Wir haben hohe Arbeits-, Energie- und Bürokratiekosten. Diese Strukturprobleme muss man jetzt angehen.
Was muss geschehen? Ist die Politik gefordert?
Wir brauchen einen Deutschland-Pakt für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Hersteller, Zulieferer, Gewerkschaften und Politik müssen an einem Strang ziehen. Die E-Mobilität wird das Rennen machen. Diesen Übergang können wir bewältigen, wenn wir ihn mit einer langfristigen Strategie angehen. Das aktuelle Hin und Her der Politik ist da nicht hilfreich.
15 Millionen Elektroautos in Deutschland bis 2030 – ist das denn noch zu schaffen?
Wenn man die richtigen Hebel ansetzt, schaffen wir bis dahin sieben bis acht Millionen E-Autos. Dafür braucht es aber klare Signale der Politik, dass sie die E-Mobilität will, also: Förderung beim Kauf, ein dichteres Netz an Ladesäulen und preiswerteren Ladestrom.
Wie hilfreich sind Strafzölle der EU gegen chinesische E-Autos?
Damit erkaufen wir uns etwas Zeit. Die Strukturprobleme muss die Branche selbst anpacken. Jetzt entscheidet sich, wie erfolgreich sie in Zukunft ist.
Die Auto-Industrie
- Die Auto-Industrie ist gemessen am Umsatz der bedeutendste Industriezweig Deutschlands.
- Die Branche beschäftigte 2023 im Jahresdurchschnitt rund 780.000 Mitarbeitende und setzte 564 Milliarden Euro um.
- Der Industriezweig erwirtschaftet über zwei Drittel des Umsatzes im Ausland.
- Im vergangenen Jahr produzierten die Hersteller hierzulande 4,1 Millionen Autos und weitere rund 10 Millionen Fahrzeuge im Ausland.
Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.
Alle Beiträge des Autors