Illertissen / Rosenheim / Lohr am Main/Regensburg. Feierabend machen, wenn ein Auftraggeber dringend auf Teile wartet? Heimgehen, wenn eigentlich noch schnell eine Maschine repariert werden muss? Diese Denke passt nicht mehr in unsere Zeit. Wenn Betriebe im ständig härteren Wettbewerb bestehen wollen, ist eines unverzichtbar – mehr Flexibilität.

Arbeit wird dann erledigt, wenn es nötig ist: Dass man das nach Möglichkeit hinkriegt und die Mitarbeiter damit trotzdem gut leben können, dafür haben die Betriebe in der bayerischen Metall- und Elektroindustrie Wege gefunden. Wie da die Praxis aussieht – das sollte, wenn jetzt die Arbeitszeit in der Tarifrunde zum Thema wird, eine zentrale Rolle spielen.

Jürgen Weiß, Geschäftsführer des Unternehmens Weiss Kunststoffverarbeitung in Illertissen bei Ulm, berichtet: „Der Zeitdruck ist enorm, die Kunden bestellen heutzutage meist kurzfristig.“ Zudem schwanke der Auftragseingang stärker als früher. „Oft müssen wir schnell reagieren. Starre Arbeitszeitregelungen stehen dem entgegen.“

Das Familienunternehmen mit 275 Beschäftigten erhält viele Großaufträge aus der Auto-Industrie. Die bestellt etwa komplexe Sets aus Spritzgussteilen für Interieur und Motorraum. Die Produktion ist eng getaktet. Ist eine neue Modellreihe am Start, muss Weiss aus dem Stand hohe Stückzahlen liefern. Solche Phasen bewältigt das Unternehmen bisher mit Zeitkonten.

Bis zu 150 Stunden im Plus kann ein Mitarbeiter sammeln. Und Weiß schaut auf die Balance: „Wir achten darauf, dass dies wieder abgebaut wird.“ Etwa, wenn weniger zu tun ist: „Warum sollten etwa unsere Techniker und Konstrukteure dann im Büro sitzen?“

Das funktioniert seit Jahren gut. Die Mitarbeiter sind zufrieden mit der Lösung. Aus den Extrastunden wird an anderer Stelle freie Zeit für den Beschäftigten, zum Beispiel für die Familie.Was für den Firmenchef dagegen gar nicht geht, sind Überlegungen, die Wochenarbeitszeit noch weiter zu senken, wie es die Gewerkschaft will. „Mit 28 Stunden kämen wir niemals hin.“

Auch beim Rosenheimer Antennenhersteller Kathrein wird zum Teil eher mehr gearbeitet. „Viele Mitarbeiter entscheiden sich sogar bewusst für eine freiwillige Erhöhung ihrer Stundenzahl“, berichtet Anton Kathrein, der geschäftsführende Gesellschafter. Gerade Jobeinsteiger fragten vermehrt danach. Denn damit steigt ja auch das Gehalt: „Wer jung ist, eine Familie gründet oder an den Hausbau denkt, dem kommt das entgegen.“

Durch eine Sonderregel ist das Unternehmen in einer guten Lage, die ihm hilft, solche Fachkräfte zu gewinnen. Denn Beschäftigte dürfen hier eine längere Arbeitszeit als die tariflich festgesetzten 35 Stunden pro Woche abmachen – und zwar über die tariflich festgelegte Quote von 13 Prozent der Belegschaft hinaus.

Über die Auswirkungen ist man sehr froh, und zwar auf beiden Seiten. Jeder Mitarbeiter, der von 35 auf 40 Stunden erhöht, hat am Monatsende mehr Geld auf dem Konto. Und das Unternehmen wird durch die flexible Regelung beweglicher, wenn es darum geht, auf Chancen in dem hart umkämpften Geschäft mit Kommunikationstechnik zu reagieren.

Zudem sitzen die Kunden, wie bei vielen bayerischen Unternehmen, überall auf der Welt, von Asien bis Amerika. „Das hat Einfluss auf die Arbeitszeiten“, so Kathrein, „auch in unserer Zentrale in Rosenheim.“ Dort beginnen Telefonkonferenzen mit Fernost oft frühmorgens vor sieben Uhr. Besprechungen mit Kunden in Nordamerika dagegen werden auf den späten Abend gelegt, dann ist dort Nachmittag.

Solche Realitäten muss eine zukunftsorientierte Tarifpolitik abbilden. Und natürlich auch der Gesetzgeber. Zu Hause schnell noch eine E-Mail schreiben, sich nach der Champions-League- Übertragung in eine kurze Telefonkonferenz einklinken – und trotzdem am nächsten Morgen um halb acht im Büro sitzen: Da kann man schnell in die Bredouille kommen, wegen der vorgeschriebenen Ruhezeiten. „Viele Kollegen fühlen sich durch die starren Arbeitszeitregelungen eingeschränkt“, berichtet Firmenchef Kathrein. „Dabei genügen manchmal ein paar Minuten, dann ist das Projekt erledigt und der Kopf wieder frei.“

Flexibilität ist auch für Ingrid Hunger eine entscheidende Größe. Sie ist geschäftsführende Mehrheitsgesellschafterin der Hunger-Hydraulik-Gruppe in Lohr am Main. „Unsere Mitarbeiter stehen zur Firma und setzen sich ein, wenn ein Großprojekt in die heiße Phase tritt“, beobachtet sie. Und sie fügt hinzu: „Sowohl tarifliche als auch gesetzliche Regelungen setzen diesem Engagement Schranken.“

Die Monteure von Hunger sind viel auf Reisen, um Kunden bei der Installation und Inbetriebnahme zu unterstützen: Zylinder für Gießanlagen in China und Brasilien, Hydraulik für Brecherzylinder in Australiens und Afrikas Diamantminen – oder Aluminium-Streckanlagen, die in den USA Riesenbleche für Flugzeugflügel in Form bringen. „Solche Großprojekte sind etwas ganz anderes als eine Serienproduktion“, sagt Hunger. „Da gibt es keine Kontinuität, sondern Spitzen. Und die müssen wir abdecken.“

Global handeln und denken muss auch das Technologieunternehmen Continental. Nicht nur für das Werk in Regensburg, sondern weltweit, auf allen Ebenen und für alle Beschäftigten, hat der Konzern daher im Herbst 2016 flexible Arbeitsbedingungen wie mobiles Arbeiten, Homeoffice, das Nutzen von Teil- und Gleitzeit sowie längerer Auszeitphasen eingeführt. Rund 95 Prozent aller Beschäftigten haben etwas davon, auch Schicht-Mitarbeiter aus der Produktion. Personalvorstand Ariane Reinhart: „Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche und besonders der Arbeitswelt sorgen für eine neue Dynamik, die in keine Schablone mehr passt.“

Der Wandel mache an keiner organisatorischen, fachlichen oder geografischen Grenze halt, betont Reinhart. „Es wird in Zukunft ein Wettbewerbsvorteil sein“, so Reinhart, „wenn sich Unternehmen und Belegschaft schneller und vor allem flexibler darauf einstellen.“

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