Bremen/Berlin. Es ist eine Wette auf die Erderwärmung. Bremenports, die Hafenbetreiber-Gesellschaft der Stadt Bremen, will einen großen Tiefwasserhafen bauen – auf Island! Die Bremer haben dazu schon 2019 mit isländischen Partnern ein Unternehmen gegründet. Kilometerlange Kais sollen entstehen, von 15 Milliarden Dollar Kosten ist die Rede: Bremenports wagt sich an ein Jahrhundertprojekt.
Und an eine Spekulation auf die Zukunft. Auf eine Zukunft, in der die Arktis zunehmend eisfrei sein könnte und damit Handelsschiffen neue Routen zwischen Asien und Europa öffnet.
Russland nutzt die Strecke entlang der nordsibirischen Küste schon jetzt zunehmend für den Export von Flüssigerdgas (LNG) per Tanker. China bereitet eine „polare Seidenstraße“ für den Transport von Waren vor. Schweden und Dänemark setzen mit neuen Strategien auf die Nordpolregion, Norwegen feilt an einem Konzept.
Schon jetzt können Schiffe von Juli bis Oktober durch die Nordostpassage fahren
„Da ist viel Bewegung, alle Anrainerstaaten positionieren sich“, sagt Michael Paul, Experte fürs Thema bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „Langfristig wird die Region sehr attraktiv: Eine eisfreie Arktis ab den 2040er Jahren würde für den Transitverkehr zwischen Asien und Europa wichtig und damit kommerziell interessant.“
Seit einigen Jahren gibt der arktische Eisschild im Sommer die Nordostpassage frei: Von Juli bis Oktober können Schiffe problemlos von Europa an Nordsibirien vorbei nach Asien schippern, am häufigsten geschieht das im September. Von Hamburg nach Schanghai legen sie dabei nur 15.000 Kilometer zurück – 5.000 Kilometer weniger als auf der Strecke durch den Suezkanal. So sind sie etwa eine Woche früher am Ziel.

2010 durchfuhr erstmals ein Frachter die Passage. Danach herrschte „Goldrausch-Stimmung“, berichtet Experte Paul, „doch die Hoffnungen zerschlugen sich bald.“ Die Zahl der Transitfahrten stieg zwar auf bis zu 71 Passagen im Jahr, ging dann aber wieder zurück. 2019 zählte die russische Aufsichtsbehörde Northern Sea Route Administration nur 37 Transits. Gegenüber den 18.000 Suez-Kanal-Passagen im Jahr sei das „kaum der Rede wert“, schreibt der Verband Deutscher Reeder in Hamburg. Warum aber halten sich europäische und chinesische Reedereien so zurück?
447 Schifffahrten gab es im September 2019 in der Nordostpassage
Fehlende verlässliche Karten – gefährliche Eisdrift – extreme Temperaturen – weit auseinanderliegende Stützpunkte: All das schreckt ab. Zudem benötigen Schiffe in der Arktis einen verstärkten eisgängigen Stahlrumpf oder die Begleitung eines Eisbrechers.
Wobei der Schiffsverkehr auf der Nordostpassage insgesamt zunimmt: Im September 2019 zählte die Aufsichtsbehörde insgesamt 447 Schifffahrten – neuer Rekord. Das waren vor allem innerrussische Transporte, aber auch vermehrte Fahrten von Tankern, die Flüssigerdgas von russischen Terminals zu den Abnehmern in China oder Europa bringen. Im vergangenen Jahr fuhren alles in allem 31,5 Millionen Tonnen Fracht durch die Nordostpassage.
Die Arktis birgt große Öl- und Gasvorkommen
Umweltschützern macht das durchaus Sorgen: Die arktischen Gewässer reagieren sehr sensibel auf Verschmutzungen und können sich wegen der Kälte nur langsam regenerieren, wie die Havarie des Öltankers „Exxon Valdez“ anno 1989 eindrücklich zeigte.
Die eisige Natur droht aber auch durch Rohstoffgewinnung Schaden zu nehmen. Riesige Öl- und Gasvorkommen vermuten US-Geologen in der Arktis, außerdem Minerale, Erze und die für Hightech-Produkte nötigen seltenen Erden.
„Davon hat Grönland riesige Reserven“, sagt Experte Paul. „sie würden den aktuellen globalen Bedarf an seltenen Erden für 150 Jahre decken.“ Der Klimawandel könnte diese Rohstoffe leichter zugänglich machen: „Die Arktis wird auch deswegen zu einer so wichtigen wie brisanten geopolitischen Arena.“
Der Eispanzer schmilzt zunehmend
- Die Temperaturen steigen in der Arktis zwei- bis dreimal so stark an wie im globalen Durchschnitt. Sie übertrafen in den letzten Jahren alle früheren Rekorde seit 1900.
- Folge: Die Eisdecke ist in diesem September auf nur noch 3,8 Millionen Quadratkilometer geschrumpft. Das ist die zweitkleinste Fläche seit Beginn der Satellitenmessungen 1979, im damaligen Sommer waren es 7 Millionen Quadratkilometer.
- Zudem wird die Eisdecke dünner: In den letzten 30 Jahren hat sich die Dicke des Eispanzers laut Weltklimarat von über drei auf unter zwei Meter verringert. Hält dieser Trend an, wird die Arktis in 30 bis 50 Jahren im Sommer weitgehend eisfrei sein.