Bayerns Aufstieg, der in Deutschland beispiellose Erfolg, hat viele Väter. In der Münchner Staatskanzlei hat man über Jahrzehnte hinweg Weichen richtig gestellt. Zahllose Unternehmen haben am Standort Produktion aufgebaut und sich am Markt immer neu behauptet. Auch Zufälle und historische Brüche haben den Weg an die Spitze geebnet.
Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg spielt Bayern vieles in die Karten. Der einstige Agrarstaat hat da zwar schon einige industrielle Hochburgen. Der Rückstand gegenüber Westdeutschland ist jedoch noch groß.
Aber nun siedeln Firmen wie Siemens und Audi aus Berlin und der sowjetischen Besatzungszone nach Bayern um. Zugleich kommen knapp zwei Millionen Heimatvertriebene – sie bieten eine Begründung, um Demontagen von Anlagen zu verhindern. „Die Regierung hat den Amerikanern erfolgreich erklärt, dass Bayern die Industrie-Jobs braucht, um die Menschen zu ernähren“, erklärt Dirk Götschmann, Experte für bayerische Wirtschaftsgeschichte an der Uni Würzburg.
Schon früh Konzentration auf hochwertige Produkte
Damit bleibt viel an industrieller Basis erhalten. Bayern kann so fast nahtlos an die Vorkriegszeit anknüpfen, schließt in der Folge zu anderen Bundesländern auf. Während nach dem Zweiten Weltkrieg jeder dritte bayerische Erwerbstätige in der Industrie arbeitet, ist es in den 1970er Jahren jeder zweite.
Größtes Hindernis für die politisch gewünschte Industrialisierung sind die Energiepreise im Freistaat. Die heimische Wasserkraft stößt an Kapazitätsgrenzen, der wichtige Energieträger Steinkohle muss anderswo eingekauft werden. „Das war ein deutlicher Kostenfaktor, ein Wettbewerbsnachteil für die bayerische Industrie“, betont der Experte.
Eine Folge: Bayerns Betriebe konzentrieren sich auf Produkte am Ende der industriellen Wertschöpfungskette, wie Fahrzeuge, Spezialmaschinen, Elektronik. Damit ist man relativ zur westdeutschen Stahl-Industrie etwas weniger auf günstige Energie angewiesen, benötigt aber umso mehr gute Fachkräfte.
Schon deshalb, so Historiker Götschmann, war die bayerische Politik stets an guten Schulen, Berufsschulen und Universitäten interessiert. „Man hat gewissermaßen aus der Not eine Tugend gemacht und dort investiert.“ Die Zahl der staatlichen Unis verdoppelt sich zwischen 1962 und 1978 auf zehn.
Parallel zur Bildungsoffensive arbeitet die Staatsregierung am Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Und an der Verfügbarkeit neuer Energiequellen: 1961 speist das Kraftwerk Kahl in Unterfranken Strom aus Kernenergie ins Netz ein – erstmals in Deutschland.
Neue Pipelines liefern Öl nach Bayern
Ingolstadt wird derweil zum Zentrum der Öl-Industrie im Freistaat. Mit Unterstützung des bayerischen Wirtschaftsministers Otto Schedl (Amtszeit 1957 bis 1970) wird der Bau dreier wichtiger Pipelines aus den Mittelmeerhäfen Marseille, Genua und Triest nach Bayern realisiert. Zudem wird Bayern 1964 an das westdeutsche Ferngasnetz angeschlossen. Das Energieangebot wird mit alldem schließlich wettbewerbsfähig. „Das hatte enorme Bedeutung“, urteilt Historiker Götschmann. „Ohne dieses Engagement der Landesregierung wäre die wirtschaftliche Entwicklung anders verlaufen.“
Die Basis für die Aufholjagd ist gelegt. Darauf können die Ministerpräsidenten Alfons Goppel (Amtszeit 1962 bis 1978) und Franz Josef Strauß (1978 bis 1988) aufbauen. Wirtschaft und Wohlstand wachsen, 1989 ist Bayern erstmals Geberland im Länderfinanzausgleich.
Edmund Stoiber (Amtszeit 1993 bis 2007) nutzt die wirtschaftliche Stärke, um den Freistaat weiter zu modernisieren. Er privatisiert Staatsunternehmen, fördert neue Technologien, konsolidiert den Staatshaushalt. 2006 kommt Bayern erstmals ohne neue Schulden aus.
Auch in der jüngeren Vergangenheit arbeitet der Freistaat auf vielfältige Weise daran, seine wirtschaftliche Stärke zu bewahren: Wie seine Vorgänger fördert Ministerpräsident Horst Seehofer (Amtszeit 2008 bis 2018) etwa die Luft- und Raumfahrt, die am Standort Bayern für mehr als 60.000 Arbeitsplätze sorgt. Die bayerische Verwaltung arbeitet recht effektiv – und sorgt so auch dafür, dass hier aus dem Bundeshaushalt überdurchschnittlich viel Geld in den Ausbau von Autobahnen und Fernstraßen fließen kann.
Der Mauerfall rückt Bayern ins Herz Europas
„In Bayern wurde über Jahrzehnte eine verlässliche, pragmatische und unternehmensnahe Wirtschaftspolitik betrieben“, urteilt Bernhard Löffler, Professor für bayerische Landesgeschichte an der Uni Regensburg. „Die verschiedenen Landesregierungen haben es gut verstanden, den Standort attraktiv zu halten.“
In der Zeit nach 1989 profitiert der Wirtschaftsstandort Bayern zudem von einem historischen Glücksfall – dem Fall der Berliner Mauer. Die weltpolitische Wende macht die deutsche Wiedervereinigung möglich. Und die Europäische Union, von bayerischen Regierungen immer befürwortet, wird um die Länder Mittel- und Osteuropas erweitert.
„Wende und Grenzöffnung waren für Bayern von ganz großer Bedeutung“, erklärt Löffler. Im geteilten Europa hatte Bayern am Rande des westlichen Wirtschaftsraumes gelegen. Danach profitierte es von offenen Grenzen, gemeinsamen Märkten und einer zentralen Lage in der Mitte Europas. „Das brachte einen enormen Wachstumsschub.“
Warum Bayern heute so gut dasteht: Das beleuchten wir ausführlich in unserem Themen-Special „100 Jahre Freistaat Bayern“. Hier geht’s zur Einführung.
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