Köln. Mustafa geht wohl auf die Werkrealschule, Marc macht natürlich ein Studium – nur ein Klischee oder doch nahe an der Realität? aktiv sprach darüber mit Professor Axel Plünnecke, Bildungsforscher am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

Ist unser Bildungssystem eher gerecht oder doch eher ungerecht?

Im internationalen Vergleich schneiden wir da in der Tat nicht besonders gut ab: Bei uns hängt der Bildungserfolg stärker von Status, Bildung und Herkunft der Eltern ab als im Durchschnitt der Industrieländer. Bis etwa 2015 hat unser Bildungssystem sich diesbezüglich immerhin etwas verbessert, aber ab 2018 wieder verschlechtert. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Diversität der familiären Situation der Kinder, wie Sprache und Bildungsstand der Eltern, zunimmt, unser Bildungssystem aber dafür nicht gut vorbereitet ist.

Verstärkt die Corona-Pandemie das Problem?

Das ist leider zu erwarten. Wenn es bei den Eltern an Ressourcen mangelt oder auch einfach an Zeit, wie bei Alleinerziehenden, können bei Kindern in dieser Pandemie automatisch Nachteile entstehen. Ich gehe davon aus, dass wir uns in Sachen Bildungsgerechtigkeit bei der nächsten Pisa-Studie vermutlich erneut verschlechtern werden.

Weiß man schon, wie sich die Schulschließungen auswirken?

Dadurch fallen wohl vor allem Kinder aus den bildungsfernen Haushalten zurück. Das kann man aus Studien zu früheren Lehrerstreiks in anderen Ländern ableiten. Eine erste Studie aus Belgien zeigt bereits, dass durch die Schulschließungen im Frühjahr, die in etwa mit der Situation in Deutschland vergleichbar waren, die Kompetenzen der Kinder deutlich gesunken sind und sich zusätzlich die Ungleichheit der Bildungschancen verschärft hat.

Was müsste passieren, um Benachteiligte besser zu fördern?

Die Förderangebote sollten gezielter die Kinder und Jugendlichen erreichen, wo es die größten Probleme gibt. Was derart zielgenaue Angebote betrifft, hat sich zuletzt auch schon viel getan, vor allem im frühkindlichen Bereich, etwa durch Familienzentren oder durch die Sprachförderung und Ausdehnung der Bildungszeiten. An den Grundschulen sind nun die nächsten Schritte notwendig.

Obwohl es viel mehr Ganztagsschulen gibt als früher?

Der weitere Ausbau der Ganztagsgrundschulen ist wichtig und richtig. Die Grundschulen sollten zu Familienzentren weiterentwickelt werden, die auch Eltern stärker einbinden. Die Betreuung am Nachmittag könnte qualitativ gestärkt und stärker zur individuellen Förderung genutzt werden. Hilfreich sind ferner die Stärkung multiprofessioneller Teams an Schulen, also mit mehr Experten für IT, Psychologie und Sozialarbeit.

Wer einmal im Nachteil ist, bleibt immer im Nachteil?

Es gibt auch positive Entwicklungen! Der Anteil Studierender aus Nicht-Akademiker-Haushalten ist gestiegen. Die Berufsausbildung bietet sehr gute Perspektiven. Die Bildungsarmut unter jungen Erwachsenen ist bis vor wenigen Jahren gesunken. Wenn nicht mehr getan wird, droht aber der Anteil von Schülern ohne Ausbildungsreife wieder zuzunehmen.