Backnang. Der Blick auf die Zensuren erfolgt bei vielen Ausbildern fast automatisch: Was hat der Bewerber für das Praktikum oder die Ausbildung denn in Deutsch und Mathe? Wie wurde sein Betragen von den Lehrern benotet? Bei Absolventen von Gemeinschaftsschulen ist das jetzt Schnee von gestern: Sie haben keine Noten mehr.
„Wir beschreiben die einzelnen Kompetenzen unserer Schüler in einem Lernentwicklungsbericht“, sagt Achim Kern, Konrektor der Gemeinschaftsschule in der Taus in Backnang. Knapp 300 solcher Schulen gibt es landesweit. Dort werden Kinder nicht nach Schulformen getrennt, sie lernen gemeinsam und werden individuell nach ihren Fähigkeiten bis zu einem für sie angemessenen Abschluss gefördert. Am Ende gibt es den Lernentwicklungsbericht, dessen Form das Kultusministerium vorschreibt. Das „Zwischenzeugnis“, mit dem sich Achtklässler jetzt erstmals um ein Praktikum in den Betrieben bewerben, umfasst zudem meist noch einen mehrseitigen Überblick über die einzelnen Kompetenzen der Kinder und ist damit ungewöhnlich dick.
Anna Sommer (15) kann auf ihren Lernentwicklungsbericht stolz sein. Kreuzchen zeigen darin an, wo sie in Fächern wie Englisch, Mathe, Deutsch oder Sport steht und wie gut sie sich zum Beispiel konzentrieren oder organisieren kann. Gekennzeichnet ist, ob sie ihre Ziele „kaum“, „teilweise“, „meistens“ oder „immer“ erreicht hat. „Da erkenne ich doch auf einen Blick, welche Fähigkeiten dieses Mädchen hat“, schwärmt der Konrektor.
In den Fächern geht es nicht um eine pauschale Durchschnittsleistung, sondern um Feinheiten. Etwa in Mathe: Wie gut ist ein Schüler im Kopfrechnen? In Sachaufgaben, Geometrie, Problemlösen, logischem Denken? Kann er mit Daten und Tabellen umgehen? „Das sagt doch viel mehr aus, als wenn da einfach eine Note Zwei oder Drei stünde“, findet Kern.
Genauso funktioniert das in Deutsch: Wie sieht es mit dem Lesen aus? Und wie mit dem Leseverstehen? Kann der Schüler sich in Aufsätzen gut ausdrücken, und wie steht es mit der Grammatik und der Rechtschreibung?
Kern spricht aus Erfahrung. Denn angefangen hat er seine berufliche Laufbahn vor Jahren als Funkelektroniker. „Ich war als Schüler in Englisch nicht so gut“, gesteht er. „Ich konnte zwar alles lesen und verstehen, aber nicht gut sprechen.“ Das sah man der Note jedoch nicht an. In der Ausbildung musste Kern später viele Datenblätter auf Englisch lesen können, das klappte auch prima: „Sprechen war da nicht groß gefragt. Hätte es damals schon einen Lernentwicklungsbericht gegeben, hätte ich es bei den Bewerbungen bestimmt leichter gehabt.“
Auf Wunsch kann man Noten eintragen lassen
Das könnte jetzt durchaus so sein. Doch die neue Art der Leistungsbeurteilung ist den Betrieben noch fremd. „Die meisten Ausbilder wünschen sich Noten“, weiß Karl-Heinz Schulze. Als pädagogischer Assistent coacht er die Schüler in Sachen Berufswahl und arbeitet eng mit den Firmen zusammen. Ein Berg Papier, den man sich als Personaler oder Ausbilder genau ansehen und durchlesen muss, das ist schon viel Arbeit.
„Wir haben Sorge, dass die Absolventen der Gemeinschaftsschule bei Bewerbungen einen Nachteil gegenüber Schülern mit normalen Zeugnissen haben“, sagt Johannes Krumme, der beim Arbeitgeberverband Südwestmetall für die Schul- und Bildungspolitik zuständig ist. Damit die Chancen gerecht verteilt sind, hat aber auch jeder Gemeinschaftsschüler das Recht, sich Noten in sein Zeugnis eintragen zu lassen.
Ein Umstand, den Konrektor Kern nicht gern sieht: „Etwas über die einzelnen Kompetenzen zu erfahren, ist doch so viel mehr wert als eine Zensur“, findet er, „auch wenn es für alle etwas mehr Arbeit macht.“
Auch Asterios Chalvatzis (14), der vor drei Jahren mit seiner Familie aus Griechenland kam, gefällt diese Art Zeugnis. Seine Eltern interessieren sich sehr für seine Lernfortschritte, die er selbst in einem für alle Schüler obligatorischen „Logbuch“ dokumentiert.
Dreimal im Jahr gehen sie mit ihm zu einem detaillierten Gespräch mit den Lehrern. „Ich mach mal was mit Mathe“, sagt Asterios nachdrücklich. Obwohl er den Berufswunsch Einzelhandelskaufmann nach einem Schnupperpraktikum beim Discounter gleich an den Nagel gehängt hat: „Das war zu langweilig“, findet er, „ich will mehr mit dem Kopf arbeiten.“
Feedback für Praktikanten von den Betrieben
Eine genaue Rückmeldung über den Entwicklungsstand der Schüler steht bei der Gemeinschaftsschule in der Taus übrigens so stark im Fokus, dass auch die Betriebe darum gebeten werden. „Möglichst nach jedem Praktikum“, sagt Berufscoach Schulze.
Ein Beurteilungsbogen wurde gemeinsam mit dem Maschinenbauer Trumpf in Ditzingen und der Theodor-Heuglin-Schule in Ditzingen- Hirschlanden entwickelt. Dieses Formular wird nun in vielen Betrieben eingesetzt.
Hier geht es um Aussagen zur Arbeitshaltung der Schüler, nicht um Zensuren. „Ich habe früher selber Mitarbeiter eingestellt“, sagt Konrektor Kern. „Da schaut man nicht auf Schulnoten, sondern primär auf die Beurteilungen durch Firmen.“
So funktioniert das mit dem Zeugnis

Das Niveau, auf dem ein Schüler in der Gemeinschaftsschule lernt, entspricht seinem Lernstand. Es gibt das „Grundlegende Niveau“ (Hauptschule), das „Mittlere Niveau“ (Realschule) und das „Erweiterte Niveau“ (Gymnasium). Es kann daher sein, dass ein Kind in Mathe sehr stark ist und deshalb auf dem Erweiterten Niveau lernt, in Deutsch und Englisch dagegen im Mittleren Niveau gut aufgehoben ist.