Deutschland wählt eine neue Bundesregierung. Die Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Professorin Ursula Münch, ordnet für aktiv die Lage ein. Sie sagt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Regierung handlungsfähig ist.

Frau Professor Münch, viele bezeichnen die kommende Bundestagswahl als Schicksalswahl. Ist da was dran?

Es stimmt, dass Deutschland Reformen braucht. Die Ampelkoalition hat Fehler gemacht, teilweise auch falsche Prioritäten gesetzt. So war die Wirtschafts- und Energiepolitik nicht der Weisheit letzter Schluss. Meine Sorge ist aber, dass nun viel zu hohe Erwartungen in eine neue Regierung gesetzt werden.

Inwiefern zu hohe Erwartungen?

Man muss realistisch bleiben. Natürlich dürfen Wähler darauf zählen, dass eine Regierung Probleme löst. Doch vieles geht nur schrittweise. Man kann nicht den Hebel umlegen und am nächsten Tag ist alles gut. Wer das glaubt, bei dem ist Enttäuschung vorprogrammiert. Dazu kommt: Es hängt ganz maßgeblich von uns Wählerinnen und Wählern ab, ob wir jetzt eine handlungsfähige Regierung bekommen oder nicht.

Was können Wähler tun, damit es eine stabile Regierung gibt?

Bei der Wahl treten extremistische Parteien an, von denen man weiß, dass die seriösen demokratischen Parteien auf keinen Fall mit ihnen koalieren werden. Wenn aber ein nennenswerter Teil der Wählerschaft solche extremistischen Parteien wählt oder seine Stimme an Kleinstparteien verschwendet, dann wird es schwierig, eine stabile Regierung zu bilden. Dann bleibt den demokratischen Parteien nichts anderes übrig, als erneut eine breite Koalition einzugehen, die sich nur auf minimale Kompromisse verständigen, aber keine großen Reformen anpacken kann.

Wer will, dass Probleme gelöst werden, muss also die großen demokratischen Parteien wählen?

Ja, denn nur eine stabile Regierung kann sich um die Probleme der Menschen kümmern. Mir ist klar, dass es eine große Unzufriedenheit mit der Prioritätensetzung der Ampelregierung gibt und mit deren Streit. Es gibt große Sorgen um die Rente, die Infrastruktur, die Sicherheit im Land, die Wohnraumknappheit, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, die Arbeitslosigkeit – leider berechtigt. Es gibt aber kein Patentrezept und man sollte nicht Parteien auf den Leim gehen, die die Lage dramatischer darstellen, als sie ist.

Was ist daran so gefährlich?

Populisten und Extremisten wollen Angst bei den Menschen schüren, also bauschen sie Probleme zusätzlich auf. Über soziale Medien funktioniert das wunderbar, weil in diesen Kanälen Instanzen fehlen, die falsche Aussagen entlarven. Das ist bei seriösen Medien anders. Sie müssen sich an etablierte Standards halten. Man muss den Mechanismus der Populisten verstehen und dagegen vorgehen. Denn er ist schlecht für das demokratische System, weil die Menschen das Vertrauen in die bewährten Institutionen verlieren. Das wiederum ist eine Gefahr für Freiheit und auch für unseren Wohlstand.

Weshalb denn?

Wenn es keine Freiheit, keine freien Medien mehr gibt, die ein Kernbestandteil unseres Landes, unserer Demokratie sind, dann grassieren Vetternwirtschaft und Korruption. Dann gilt nicht mehr das Recht, sondern nur noch das Recht des Stärkeren. Das tut uns allen nicht gut, weder einem persönlich als Mensch noch unserem Land, unserer Gesellschaft und vor allem nicht unserer Wirtschaft.

Was muss geschehen, damit die Menschen der Demokratie wieder vertrauen?

Zunächst muss Politik wieder besser ihre Aufgaben erledigen. Dafür brauchen wir aber einerseits eine starke Regierungsmehrheit und andererseits eine Opposition, die konstruktiv mitarbeitet. Im Augenblick haben wir im Parlament oppositionelle Parteien, die gar keine Probleme lösen wollen. Dafür sind gewählte Parteien aber da. Gleichzeitig müssen auch wir Bürger etwas tun. Wir leben trotz aller Herausforderungen sehr angenehm in unserem Land, uns beneidet ein Großteil der Welt um unseren Wohlstand, unsere Freiheiten. Dies verpflichtet uns, zur Wahl zu gehen, demokratische Parteien zu unterstützen, uns zu engagieren im Ehrenamt, im Betrieb, in Staat, Kirche oder Vereinen. Denn man verändert nur etwas, wenn man gemeinsam handelt – und nicht, indem man andere ausgrenzt.

Alix Sauer
Leiterin aktiv-Redaktion Bayern

Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.

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