Rietheim-Weilheim. Was machen die drei Männer auf dem Foto oben eigentlich? Umräumen? Ach was: „Rücken gerade“, fordert Halil Akkaya von seinen Kollegen im Werkzeugbau, „Kopf nach vorne – eins, zwei, drei, vier …“ Tatsächlich, hier geht’s um Liegestütze. An der Werkbank.
Geschulte Mitarbeiter leiten ihre Kollegen an
Personalchefin Dagmar Bühler kommt vorbei. Gibt’s jetzt Ärger? Im Gegenteil – sie lacht und ruft: „Weiter so!“
Denn solche Gymnastikpausen sind hier, beim Signaltechnik-Hersteller Werma in der kleinen schwäbischen Gemeinde Rietheim-Weilheim, erwünscht. Gerade hat das Unternehmen zusammen mit der AOK zehn weitere Mitarbeiter zu Bewegungscoaches ausgebildet, also zu Kollegen, die Gymnastik- und Entspannungspausen anschieben und leiten. Mehr Bewegung im Job – damit liegt diese Firma voll im Trend: Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse finden bereits drei von vier Beschäftigten Angebote ihres Betriebes dazu vor (wobei hier zum Beispiel auch ergonomische Arbeitsplätze oder Stehtische mitzählen).
Bei Werma ergänzen die Schulungen zum Bewegungscoach – Werkzeugbauer Akkaya ist einer von ihnen – viele andere Maßnahmen der Gesundheitsförderung. „Ich dachte mir, das könnten wir super in unserer Abteilung anwenden“, sagt Akkaya, „zwar bewegen wir uns im Job auch, aber eher einseitig.“
Das Päuschen mit den Liegestützen ist Akkayas erster Test. Und tatsächlich: Nach anfänglichem Stirnrunzeln tauen die Kollegen auf, bald lachen sie bei den Übungen. Er will nun mit dem Abteilungsleiter besprechen, zu welchen Zeiten so etwas regelmäßig über die Bühne gehen kann.
In anderen Abteilungen am Werma-Hauptsitz, wo 250 Beschäftigte unter anderem Signalleuchten und -hupen für Industriebetriebe herstellen, sind solche Pausen schon fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Ausstempeln muss man dafür nicht, zweimal täglich ruht die Arbeit für etwa zehn Minuten, die Telefone sind umgeleitet – alles auf Wunsch und Anweisung der obersten Chefs. Hilfreich für die Coaches: Für jede Übung gibt’s ein Kärtchen, auf dem erklärt wird, wie sie abläuft.
„Ich mache natürlich auch mit“, so Personalchefin Bühler, „meine Termine werden extra drumherum geplant.“ Bei den Männern müsse man etwas mehr Überzeugungsarbeit leisten als bei den Frauen, berichtet sie. Bisher sind auch erst zwei der Coaches männlich.
„Die Lebensarbeitszeit steigt: Wir müssen mehr tun, um fit zu bleiben“
Dass die ganze Sache „eine gute Investition ist“, davon ist Bühler überzeugt: „Die Lebensarbeitszeit von uns allen steigt ja im Schnitt. Also müssen wir auch mehr tun, um fit zu bleiben.“ Außerdem stärken die Bewegungspausen das Teamgefühl und die Zufriedenheit spürbar, so die Erfahrung bei Werma. „Und zufriedene Mitarbeiter sind produktiver, weniger krank und haben eine längere Betriebszugehörigkeit.“
An der Deutschen Sporthochschule in Köln ist Christiane Wilke Expertin für Betriebliche Gesundheitsförderung. Sie hat beobachtet, dass Bewegungsangebote immer wichtiger werden: „Seit zehn Jahren steigt die Zahl der Unternehmen, die bei uns in dieser Sache Unterstützung suchen, stark an.“
Wer im Sitzen arbeite, habe Bewegungspausen besonders nötig, weiß die Sportwissenschaftlerin, denn: „Tägliches Sitzen ab drei Stunden am Stück gilt sogar als Risikofaktor für die Gesundheit.“ Da helfe es schon, zwischendurch mal die Treppe rauf und runter zu laufen oder Kaffee zu holen. Aber auch Industrie-Mitarbeiter, die ohnehin Bewegung haben, brauchen Abwechslung, so die Expertin: „Um einen Ausgleich zu schaffen für einseitige Arbeitshaltungen.“
Zurück zur bewegten Pause bei Werma: Coach Akkaya zeigt seinen Kollegen Vincent Storz und Ingo Zepf gerade eine Übung mit dem Theraband. Zepf wollte anfangs eigentlich gar nicht mitmachen. Inzwischen ist er fröhlich dabei – und stellt fest: „Für den Schulterbereich und den Rücken ist das super!“