Welche Leistungen die gesetzlichen Krankenkassen anbieten müssen, ist zum größten Teil festgeschrieben, und zwar im Sozialgesetzbuch. Um den Wettbewerb unter ihnen anzukurbeln, sind sie allerdings seit etlichen Jahren verpflichtet, zusätzlich Wahltarife anzubieten, die Versicherte separat abschließen können. Was man dazu wissen sollte, erklärt Arne Weinberg, Experte für Medizinrecht von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Verpflichtende und freiwillige Wahltarife

Grundsätzlich sind zwei Gruppen von Wahltarifen zu unterscheiden, erklärt Jurist Weinberg. Es gibt zum einen Tarife, die alle Kassen anbieten müssen: „Das sind Tarife über besondere Versorgungsformen, die etwa weitergehende Angebote für chronisch Kranke umfassen.“ Ein Krankengeldtarif für Selbstständige, die ja im Krankheitsfall keine Lohnfortzahlung bekommen, gehört ebenfalls zum Pflichtprogramm. Die andere Gruppe von Wahltarifen umfasst Angebote, die sich auf die Beiträge beziehen, etwa die Vereinbarung eines Selbstbehalts oder der Beitragsrückerstattung. Solche Tarife können die Kassen auf freiwilliger Basis anbieten.

Beispiel für einen Wahltarif: Das Hausarztmodell

Zu diesen Wahltarifen für besondere Versorgungsformen gehört etwa das Hausarztmodell. Wer sich hierfür entscheidet, verpflichtet sich, im Krankheitsfall zunächst immer den Hausarzt aufzusuchen. Der übernimmt eine Lotsenfunktion und überweist den Patienten gegebenenfalls an einen Facharzt weiter. So behält der Hausarzt den Überblick über den ganzen Behandlungsprozess. Da nicht alle Ärzte an einem solchen Programm teilnehmen, sollten sich die Versicherten zunächst erkundigen, ob das bei ihrem Arzt der Fall ist, rät Weinberg. Sonst wäre mit der Wahl des Tarifs womöglich ein Wechsel des Mediziners verbunden. „Auch die freie Arztwahl geben die Patienten damit ein Stück weit auf, weil sie sich die Fachärzte oder andere Leistungserbringer nicht mehr selbst als erste Anlaufstelle bei Beschwerden aussuchen können.“

Es gibt allerdings Ausnahmen: Kinder- und Augenärzte sowie Gynäkologen dürfen die Versicherten weiterhin ohne Überweisung aufsuchen.

Die Vorteile des Hausarztmodells

An die Entscheidung, am Hausarztmodell teilzunehmen, ist man zumindest ein Jahr gebunden, ein früherer Ausstieg wäre aus schwerwiegenden Gründen möglich, etwa weil das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beschädigt ist. „Dies wird dann jeweils im Einzelfall geprüft und muss entsprechend nachgewiesen werden“, sagt der Experte für Medizinrecht.

Vorteile für die Patienten, wenn sie am Hausarztmodell teilnehmen: Die Krankenkassen zahlen dafür eine Prämie oder erlassen den Versicherten die Zuzahlungen für Medikamente und gegebenenfalls auch für Heilmittel, zu denen beispielsweise die Physiotherapie zählt. Oft gibt es auch besondere Sprechstundenzeiten für diese Versicherten, sodass sie unter Umständen schneller an einen Termin beim Facharzt kommen.

Tarifmöglichkeit: Lohnfortzahlung für Selbstständige

Angestellte bekommen im Krankheitsfall sechs Wochen Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber und nach Ablauf dieser Frist Krankengeld von der Kasse, falls sie immer noch arbeitsunfähig sind. Das ist bei Selbstständigen anders. Wenn sie nicht arbeiten können, stehen sie im Ernstfall ohne Einkommen da. Damit eine Krankheit nicht auch noch wirtschaftlich ruinös wirkt, können sie als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse einen Tarif über Krankengeld abschließen. „Dann erhalten sie für jeden Tag, den sie arbeitsunfähig sind, einen bestimmten Betrag, um damit den Lebensunterhalt zu sichern.“ Wichtig sei dabei, darauf zu achten, wann genau der Krankengeldanspruch entsteht. Oft beginne dieser erst ab dem 43. Krankheitstag. Je nach finanzieller Situation könne sich hier eine Tarifoption mit einer früheren Anspruchsentstehung anbieten, rät der Jurist. Wer einen solchen Tarif abschließt, ist daran drei Jahre gebunden.

Tarife, die Kassen freiwillig anbieten: Beitragsrückerstattung, Selbstbehalt und Kostenerstattung

Bei den Tarifen, die besondere Beitragsregelungen zum Inhalt haben, sollten Versicherte grundsätzlich vorsichtig sein, rät Weinberg. Sie könnten dazu verlocken, auf notwendige Arztbesuche zu verzichten oder mit höheren Krankheitskosten für den Versicherten einhergehen.

Bei der Beitragsrückerstattung erhalten die Versicherten einen Monatsbeitrag zurück, wenn sie in einem Kalenderjahr keine Versicherungsleistungen in Anspruch genommen haben. „Davon ausgenommen sind jedoch beispielsweise die Vorsorgeuntersuchungen oder Schutzimpfungen, die zählen für die Rückerstattung nicht mit“, so der Experte. Dennoch ist das Risiko nicht zu unterschätzen, dass ein akut Erkrankter auf den Arztbesuch verzichtet, weil er die Beitragsrückzahlung nicht gefährden möchte, und so den Infekt womöglich verschleppt.

Wer die Beitragsrückerstattung vereinbart, ist daran ein Jahr gebunden. Zuvor sollten die Versicherten in jedem Fall prüfen, welche Leistungen trotz des Tarifs prämienunschädlich übernommen werden. Da dies von Kasse zu Kasse variiert, sollten am besten auch mehrere Anbieter miteinander verglichen werden.

Wer gesund ist, kann auch auf einen Tarif mit Selbstbehalt setzen

Auch der Abschluss eines Tarifs mit Selbstbehalt ist genau abzuwägen. „Hier verpflichtet sich der Versicherte, einen bestimmten Teil seiner Krankheitskosten selbst zu zahlen. Dafür kann er eine Prämie von maximal 600 Euro erhalten“, erklärt der Experte. Wie hoch der selbst zu zahlende Anteil ist, hängt vom Einkommen ab. Wer relativ wenig verdient, bekommt einen niedrigeren Selbstbehalt als ein Gutverdiener. Analog ist die Prämie ebenfalls einkommensabhängig. Und: „Wer einen solchen Tarif abschließt, ist daran für drei Jahre gebunden“, sagt Weinberg. Ob sich der Tarif für den Versicherten auszahlt, ist nicht sicher – ist der Selbstbehalt höher als die zu erlangende Prämie und fallen unerwartet hohe Kosten an, etwa aufgrund eines Unfalls, zahlt der Versicherte schnell drauf.

Besondere Vorsicht sollten Versicherte bei Tarifen mit prozentualem Selbstbehalt walten lassen: „Hierbei zahlt man von jeder Arztrechnung einen bestimmten Anteil aus eigener Tasche“, warnt der Verbraucherschützer. Bei schwerer Krankheit können da schnell hohe Summen auflaufen.

Generell sind die Tarife mit Selbstbehalt eher für Menschen mit guter Gesundheit geeignet, die nur selten zum Arzt gehen. Aber: Wie bei der Beitragsrückerstattung sind etwa die Vorsorgeuntersuchungen von der Regelung ausgenommen und werden von der Kasse gezahlt.

Auch Kombinationen von Selbstbehalt und Rückerstattung bieten manche Kassen als Wahltarif an. Das ermöglicht noch etwas höhere Gutschriften, allerdings verbunden mit den bereits genannten Risiken.

Tarif mit Kostenerstattung: Meistens muss der Patient einen großen Kostenteil selbst tragen

Wer einen Tarif mit Kostenerstattung wählt, begleicht wie ein Privatpatient seine Arztrechnungen selbst und reicht diese zur Erstattung bei seiner Krankenkasse ein. Das kann schnell ins Geld gehen, warnt Experte Weinberg: „Der Arzt rechnet in dem Fall nach der Gebührenordnung für Ärzte ab, die für Privatpatienten gilt.“ Das führt regelmäßig zu einer höheren Rechnungen, von denen die gesetzlichen Kassen wiederum aber nur den Satz erstatten, der für Kassenpatienten üblich ist: „Unterm Strich muss der Versicherte häufig einen großen Anteil seiner Krankheitskosten beim Kostenerstattungsverfahren selbst tragen.“

Strukturierte Behandlung als Wahltarif: Interessant für chronisch Kranke

Die Tarife zur strukturierten Behandlung richten sich an Versicherte mit chronischen und langwierigen Krankheiten wie zum Beispiel Asthma, Diabetes oder Brustkrebs. Mit dem Abschluss eines solchen Tarifs verpflichten sich die Patienten, an einem sogenannten Disease-Management-Programm teilzunehmen. Das sind speziell ausgearbeitete Behandlungsschemata für bestimmte Krankheiten, bei denen sich die beteiligten Ärzte verpflichten, sich regelmäßig fortzubilden und bei der Behandlung exakt definierte Standards einzuhalten.

Im Gegenzug müssen auch die Patienten gewisse Pflichten erfüllen: So ist etwa die Teilnahme an Schulungen – bei Diabetikern beispielsweise eine Ernährungsberatung – zwingend vorgeschrieben. Auch die Termine für die Kontrolluntersuchungen sind penibel einzuhalten. Die Krankenkassen belohnen die Teilnahme mit einer Prämie oder gewähren andere Vergünstigungen. So gibt es auch hier häufig spezielle Sprechstundenzeiten für die Teilnehmer. Weinberg: „Die Angebote für Disease-Management-Programme werden regelmäßig erweitert, bis Juli 2023 sollen beispielsweise auch strukturierte Behandlungsprogramme für die Adipositas-Behandlung geschaffen werden.“

Ein weiterer Wahltarif: Integrierte Versorgung

Bei der integrierten Versorgung geht es vor allem um interdisziplinäre Behandlungen, an denen niedergelassene Ärzte sowie Kliniken oder Heilmittelerbringer, zum Beispiel Physio- oder Ergotherapeuten, mitwirken. Sie kommen daher für Versicherte infrage, die beispielsweise unter chronischen Kopfschmerzen leiden, an Parkinson oder die Sportverletzungen erlitten haben. „Wer sich für einen dieser Tarife interessiert, sollte genau prüfen, welche Leistungen sie umfassen und wer sie anbietet. Die Krankenkasse muss dazu ausführliche Informationen zur Verfügung stellen“, so Weinberg. Die Teilnahme an einem solchen Programm ist immer freiwillig.

Besondere Therapien: Homöopathie, pflanzliche Arzneien oder anthroposophische Heilmittel

In eine ähnliche Richtung gehen auch Tarife für besondere Therapien. Wer auf Homöopathie, anthroposophische Heilmittel oder pflanzliche Arzneien Wert legt, kann einen Tarif abschließen, der auch diese Medikamente erstattet. Denn sie gehören oft nicht zum regulären Leistungskatalog der Kasse. Aber aufgepasst: „Die Zusatzkosten für den Extratarif sollten die Versicherten unbedingt mit den Kosten für solche Heilmittel vergleichen – es kann auch günstiger sein, gelegentlich mal ein Medikament selbst zu bezahlen.“ Oft gibt es zudem eine Obergrenze, bis zu deren Erreichen die Kosten übernommen werden, was darüber hinausgeht, müsste der Versicherte aus eigener Tasche bezahlen. 

Waltraud Pochert
Autorin

Waltraud Pochert hat bei aktiv vor allem Verbraucherthemen aus dem Bereich der privaten Finanzen sowie Recht und Steuern im Blick. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Köln startete sie ihre berufliche Laufbahn bei einem großen Wirtschaftsmagazin, bevor sie als freie Journalistin tätig wurde. In ihrer Freizeit ist sie gern sportlich unterwegs, vor allem mit dem Fahrrad.

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