Heidelberg/Aalen/Stuttgart. Jetzt geht’s ran an die Maschinen. Doch nicht an die Druckmaschinen, die der Heidelberger Konzern in der Produktionshalle 6 montiert, sondern an die Trainingsgeräte einen Stock höher. Hier können die Mitarbeiter gleich vor oder nach ihrer Schicht etwas für sich tun: für ihre Gesundheit. Die Rückenbeuge etwa, die Georg Bellemann (57) gerade mit Physiotherapeut Klaus Bittlinger übt, soll die Beweglichkeit verbessern und erhalten.
„Ich stehe viel bei der Arbeit“, erklärt Bellemann, der bei Heidelberger Druck Zylinder in die Maschinen montiert, eine wichtige und anstrengende Arbeit. Wer hat danach schon noch Lust, ins Fitness-Studio zu gehen oder zum Joggen in den Wald? Da ist das Sofa meist verlockender. Das neue Angebot ganz in der Nähe seines Arbeitsplatzes findet der Monteur deshalb toll: „Welche Firma hat das schon?“
935 Millionen Euro im Jahr geben Unternehmen für die Gesundheit aus
Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg bieten acht von zehn Betrieben ihren Mitarbeitern Gesundheitsmaßnahmen an. Die Ausgaben der Betriebe dafür sind seit dem Jahr 2000 von 700 Millionen Euro auf 935 Millionen Euro gestiegen.
Häufig jedoch machen nur diejenigen bei den Kursen mit, die ohnehin sportlich sind. Bei Heidelberger Druck läuft das anders: „Wir wollten etwas machen, das die Mitarbeiter im Werk auch tatsächlich erreicht“, sagt Personalchef Professor Rupert Felder. Von den 5.000 Mitarbeitern am Standort Wiesloch in der Nähe von Heidelberg sind rund 3.500 in der Produktion, Montage oder Logistik beschäftigt.
Die ersten 300 Teilnehmer haben sich in dem Anfang April eröffneten Zentrum „Wiefit“ bereits angemeldet. Wiefit ist das Ergebnis eines breit angelegten Projekts, mit dem der Heidelberger Konzern Gesundheit, ergonomische Arbeitsplätze, Qualifizierung und Führung unter die Lupe genommen hat.
„Hier am Standort sind die meisten Mitarbeiter zwischen 45 und 55 Jahre alt“, so Felder. Das sei eine Folge des Personalabbaus in den letzten Jahren: „Wir haben dabei überwiegend die ganz jungen und die älteren Mitarbeiter verloren.“ Geblieben sind vor allem die mittleren Altersgruppen: Mitarbeiter, die noch 10 bis 20 Jahre bis zur Rente haben. Sie müssen noch lange fit bleiben. Doch wie schafft man es, mit betrieblicher Gesundheitsförderung gerade diejenigen Mitarbeiter zu bewegen, die es am meisten brauchen?
Mit dieser Frage hat sich kürzlich eine Tagung des Arbeitgeberverbands Südwestmetall in Aalen beschäftigt. Es reicht eben nicht, einen Gymnastikkurs nach Feierabend anzubieten. „Das Gießkannenprinzip ist passé“, so Fabian Krapf vom Institut für betriebliche Gesundheitsberatung an der Universität Konstanz.
Spontane Aktionen in der Werkhalle
Das Gesundheitskonzept im Unternehmen müsse auf bestimmte Mitarbeitergruppen zugeschnitten sein. Und Bewegungsangebote sollten möglichst nah am Arbeitsplatz stattfinden: „Der Trainer muss zum Mitarbeiter kommen, nicht umgekehrt.“ Das könnten spontane Aktionen in der Werkhalle sein oder Angebote in der Pause. „Ein Aushang am Schwarzen Brett bringt nichts“, so die Erfahrung von Krapf. Bei einigen Unternehmen wird das schon umgesetzt. Der Kabelhersteller Lapp in Stuttgart bietet beispielsweise einmal wöchentlich eine „bewegte Pause“ direkt in der Produktionshalle an.
Bei Heidelberger Druck hat man all das ernst genommen. Gesundheitsmanager Alexander Berger hat zunächst die Mitarbeiter nach ihren Wünschen und Beschwerden befragt: „Die Ursachen sind Fehlhaltungen, zu wenig Bewegung und einseitige Belastungen.“
Das Ergebnis der Untersuchung sollte nicht einfach ein Fitness-Studio sein. „Wir wollten kein Lifestyle-Angebot machen“, erklärt Felder dazu. „Die Mitarbeiter sollen spüren, dass sie auch selbst etwas für ihre Gesundheit tun müssen.“ Auch deshalb soll jeder, der das Zentrum nutzen möchte, einen kleinen Eigenbeitrag leisten. „Es ist immer ein Geben und Nehmen“, erklärt Felder das Prinzip. Das Wiefit, das ein externer Dienstleister betreibt, vereint Vorbeugung, Training und Therapie zu einem Konzept. Die Trainer sind ausgebildete Physiotherapeuten, die für jeden einen individuellen Plan entwickeln – auf der Basis des medizinischen Befunds. Nach gründlicher Einführung kann der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin die eigenen Übungen machen, in nur 20 Minuten. Die Geräteeinstellungen werden auf dem Werkausweis gespeichert. Den hält man einfach vor das Display.
Trainieren bei freier Zeiteinteilung
Auch das ist ein Ergebnis der Südwestmetall-Tagung: Gesundheitsmaßnahmen im Betrieb werden individueller. „Für einen Servicetechniker, der beim Kunden die Maschinen wartet, brauche ich ein eigenes Konzept. Der ist viel unterwegs und kann abends nicht zur Gymnastik“, berichtete Markus Schorpp, der beim Schuler Konzern in Göppingen das Gesundheitsmanagement leitet.
Bei Heidelberger Druck kann jeder trainieren, wann er gerade Zeit hat. „Allerdings nicht während der Arbeitszeit“, so schränkt Personalchef Felder ein. Gesundheitsmanager Berger sieht schon vor der ersten Schicht um 5.30 Uhr Mitarbeiter beim Zirkeltraining. Nach einer erfrischenden Dusche geht’s dann runter in die Werkhalle.
Bevor das Zirkeltraining an den neun Geräten startet, gibt es einen mehrwöchigen Kurs rund um das Thema Gesundheit und Bewegung. Thomas Kreichgauer (57) ist einer der Teilnehmer und führt gerade eine Übung vor. „Heute sind die Bauch- und Rückenmuskeln dran“, erklärt er. Kreichgauer ist Disponent im Lager und zu Fuß oder mit dem Stapler zwischen den Regalen unterwegs. Seit 27 Jahren arbeitet er bei dem Druckmaschinenkonzern. „Ich habe bemerkt, dass ich einroste. Und ich will abnehmen“, so Kreichgauer.
„Mit über 50 ist die Beweglichkeit ein großes Thema“, sagt Gesundheitsmanager Berger. Deshalb gibt es einen Raum mit Geräten zum Dehnen und Strecken. Georg Bellemann kommt gerade aus der Rückenbeuge wieder hoch. Fazit von Gesundheitsmanager Berger: „Es ist nie zu spät. Man kann immer mit dem Training anfangen.“
EU-Auszeichnung für „Gesunde Arbeitsplätze“


Sichere und gesunde Arbeitsplätze für jedes Alter – dafür hat die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz einen Wettbewerb ausgeschrieben. Unter den 42 Bewerbern hat die Jury den Konzern Heidelberger Druckmaschinen ausgezeichnet. Außerdem wurde auch der Autozulieferer Continental gewürdigt. Die Gesundheit der Mitarbeiter sichere den Unternehmen ihre Zukunft, so die Jury.
Interview

Wir bleiben heute länger gesund
Aalen. Die Hochschule Aalen veranstaltet gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband Südwestmetall einmal im Jahr eine landesweite Tagung zum Thema betriebliches Gesundheitsmanagement. Professor Dieter Ahrens, der an der Hochschule diesen Bereich leitet, hat rund 1.500 Studien über die Wirksamkeit von betrieblichen Gesundheitsmaßnahmen ausgewertet. AKTIV sprach mit ihm darüber.
Welche Maßnahmen im Betrieb haben den größten Nutzen?
Sehr gute Ergebnisse haben wir beispielsweise bei Programmen zur Raucherentwöhnung, bei Stressmanagement-Interventionen, Angeboten zur Steigerung der körperlichen Aktivität, ergonomischen Maßnahmen zur Körperhaltung oder auch bei Gesundheitszirkeln, in denen sich Mitarbeiter regelmäßig treffen. Allerdings haben wir grundsätzlich das Problem, dass in erster Linie diejenigen teilnehmen, die ohnehin schon gesund leben, und nicht diejenigen, die es am nötigsten brauchen. Der Facharbeiter, der im Schicht-Betrieb produziert, fühlt sich eben vom Yoga-Kurs nicht angesprochen.
Was wäre denn besser?
Das Ernährungs- und Bewegungsverhalten kann man wahrscheinlich eher durch sogenannte „Nudges“ (deutsch: Anstupser) verändern. Also nicht, indem man den Mitarbeitern Vorträge hält, was und wie sie essen müssen oder wie viel Sport sie treiben sollten, sondern indem man in der Kantine die Salate nach vorne stellt und kleinere Teller anbietet. Sinnvoll sind auch aufgemalte Fußspuren, die zur Treppe führen. Man hat beobachtet, dass dann tatsächlich mehr Mitarbeiter die Treppe benutzen statt den Aufzug. Neuere Studien belegen die Wirksamkeit solcher einfachen Maßnahmen – und das ist auch plausibel.
Welchen Anteil hat die Arbeitswelt an der Gesundheit der Bevölkerung?
Erfreulicherweise leben wir nicht nur immer länger, wir bleiben dabei auch länger gesund. Die Gesundheit nimmt dabei sogar stärker zu als die Lebenserwartung. Zu dieser Entwicklung trägt die Arbeitswelt den Hauptteil bei. Das hat nicht nur mit der betrieblichen Gesundheitsförderung zu tun, sondern auch mit der ständigen Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen.