Junge Menschen interessieren sich nicht für Wirtschaft? Auf den ersten Blick stimmt das so halbwegs: In einer repräsentativen Befragung für die Bertelsmann-Stiftung gaben gerade mal 54 Prozent der 14- bis 25-Jährigen an, ein allgemeines Interesse an Wirtschaftsthemen zu haben – mit einem deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Bei den jungen Männern lag die Quote bei 63 Prozent, bei den jungen Frauen nur bei 44 Prozent.
„Für die Hälfte der Befragten klingen Nachrichten über Wirtschaft häufig zu kompliziert“, heißt es im kürzlich vorgestellten Bericht. „Und etwa rund die Hälfte ist der Meinung, dass sie nicht genug über Wirtschaft weiß, um tagesaktuelle Wirtschaftsnachrichten zu verstehen.“
In der Schule lernt man „wenig“ oder „so gut wie nichts“ über Wirtschaft
Bei näherem Hinsehen zeigt sich immerhin: Junge Menschen interessieren sich differenzierter für spezielle Wirtschaftsthemen. Auf gute Quoten kommen da berufliche Weiterentwicklung (81 Prozent), Rente und Rentensystem (79 Prozent) sowie Chancengleichheit in Bildung und Beruf (78 Prozent). Auch die Vereinbarkeit von Job und Familie sowie die Work-Life-Balance interessieren drei von vier Befragten. Wobei stets die Bildung eine Rolle spielt – vereinfacht gesagt: je höher der Schulabschluss, desto mehr Interesse. Generell erschreckend gering ist aber das Interesse an Themen wie Unternehmensgründung/Start-ups und Aktien/Aktienmarkt.
Wie gut oder schlecht sich die jungen Menschen mit Wirtschaft und Finanzen auskennen, das untersucht auch der Bundesverband deutscher Banken regelmäßig, dessen Jugendstudie alle drei Jahre erscheint. Für die im November präsentierten Befunde waren Jugendliche und junge Erwachsene von 14 bis 24 befragt worden. Zentrales Ergebnis: Insgesamt 80 Prozent gaben an, in der Schule über Wirtschaft und Finanzen „wenig“ oder „so gut wie nichts“ zu lernen oder gelernt zu haben.
Immerhin kennen nun 74 Prozent den Begriff Inflationsrate. Bei der Befragung im Jahr 2021 waren es nur 56 Prozent gewesen. Die Steigerung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass das Thema angesichts der zeitweise recht hohen Inflation in den Medien wie auch in den persönlichen Erfahrungen der jungen Leute eine viel größere Rolle gespielt hat als früher. Die ungefähre Höhe der aktuellen Inflationsrate kennt dennoch nur ein knappes Fünftel der jungen Leute. Und mit dem Begriff „betriebliche Altersvorsorge“ können 37 Prozent der Befragten noch nichts anfangen. Auf aktiv-online.de finden Sie ein ausführliches Stück darüber, was Berufsanfänger über betriebliche Altersvorsorge wissen sollten.
Junge Frauen schneiden schlechter ab als junge Männer
Auch in der Studie für den Bankenverband schneiden die jungen Frauen schlechter ab als ihre männlichen Altersgenossen. Das Ergebnis insgesamt sieht Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Verbands, mit Sorge: „Finanzwissen ist entscheidend für eine selbstbestimmte Zukunft“, sagte er zu aktiv. „Wer globale wirtschaftliche Zusammenhänge versteht und sich mit dem Kapitalmarkt und Wertpapieren auskennt, kann bessere und sicherere Entscheidungen für sein Vermögen und seine Altersvorsorge treffen.“ Deshalb sei es wichtig, frühzeitig mit der finanziellen Bildung zu beginnen – und gerade junge Frauen mehr für diese Themen zu begeistern.
Ökonomisch fundiertes Verständnis hilft in zunehmend komplexerer Welt
Tatsächlich möchte die große Mehrheit der jungen Menschen, dass ihnen in der Schule mehr Wissen vermittelt wird: 86 Prozent der Befragten sprachen sich für ein eigenes Schulfach Wirtschaft und Finanzen aus. Dort sollte vor allem der Umgang mit Geld, die Altersvorsorge, das Finanzsystem und die Rolle der Banken thematisiert werden. Auch in der Bertelsmann-Studie wünschten sich 78 Prozent der jungen Leute mehr Wirtschaftsinhalte in der Schule.
Dazu muss man wissen: So unterschiedlich wie die Schulfächer in den einzelnen Bundesländern ist auch die Ausbildung der Lehrer in Sachen Wirtschaft – anders als bei anderen Fächern gibt es keinen einheitlichen Lehramtsstudiengang zum Thema.
Mehr Wissen wäre jedenfalls besser, wie auch das Institut für ökonomische Bildung an der Uni Oldenburg mahnt. Die ökonomische Bildung sei hierzulande „schlechter verankert als andere Bildungsanliegen“. Aber: „Ohne ein ökonomisch fundiertes Verständnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik lässt sich die zunehmend komplexer werdende Wirtschafts-, Arbeits- und Lebenswelt nicht bewältigen.“
Tanja Wessendorf berichtet für aktiv aus der Industrie und schreibt über Verbraucherthemen. Sie studierte in Berlin Politikwissenschaft und volontierte in Hamburg bei der Tageszeitung „Harburger Anzeigen und Nachrichten“. Seit 2008 arbeitet sie als Redakteurin, viele Jahre in der Ratgeber-Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“, aber auch beim TV-Sender Phoenix. Privat liebt sie alles, was schnell ist: Kickboxen, Eishockey und laufen mit ihrem Hund.
Alle Beiträge der Autorin