Köln/Berlin. Noch mehr Kitas braucht das Land. Immer mehr Eltern wollen einen Betreuungsplatz für ihre Kleinkinder. Den wünschen sich Mütter und Väter heute für fast jeden zweiten der unter Dreijährigen – vor acht Jahren war das erst bei 39 Prozent der Kleinkinder der Fall. Deshalb wird es für viele Eltern zunehmend schwierig, einen Betreuungsplatz zu finden.Und das, obwohl Städte und Gemeinden im letzten Jahrzehnt die Zahl der Betreuungsplätze kräftig auf 818.000 gesteigert haben. „Das sind gegenüber dem aktuellen Bedarf 320.000 Plätze zu wenig“, sagt Wido Geis-Thöne, Experte für Familienpolitik am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

„Bei den Eltern vollzieht sich zurzeit ein bemerkenswerter Wandel in der Einstellung“, erklärt der Experte die Entwicklung. „War die Kita vor ein paar Jahren noch sehr umstritten, ist es heute mehr und mehr normal, Kleinkinder ab etwa 18 Monaten betreuen zu lassen.“

Mütter kehren im Durchschnitt ein Jahr und sieben Monate nach der Geburt in den Job zurück

Fast 80 Prozent der Eltern von Zweijährigen wünschen bereits Betreuung. „In wenigen Jahren brauchen wir für diese Altersgruppe eine Vollversorgung“, so der IW-Forscher. Das sei den Verantwortlichen in den Kommunen oft nicht bewusst.

Die Unternehmen hingegen begrüßen den Trend angesichts des Fachkräftemangels. Immer mehr junge Mütter wollen schnell zurück in den Job. Im Durchschnitt legen sie heute bereits ein Jahr und sieben Monate nach der Geburt des Kindes im Betrieb wieder los, berichtet der Arbeitgeber-Dachverband BDA in Berlin. Mit Teilzeit, flexiblen Arbeitszeiten und Heimarbeit helfen Firmen Müttern und Vätern, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen.

Manche Unternehmen organisieren Belegschaftsplätze in kommunalen Kitas, andere haben eigene eingerichtet. So hat sich die Zahl der Betriebs-Kitas binnen zehn Jahren auf 742 fast verdoppelt.

„Die Enkelinnen der frühen Baby-Boomer bekommen Nachwuchs“

Neben den wachsenden Ansprüchen der Eltern vergrößert ein zweiter Trend die Versorgungslücke: Es gibt wieder mehr Kinder. „Die Enkelinnen der frühen Baby-Boomer bekommen Nachwuchs“, erklärt Geis-Thöne. Und sie bekommen pro Frau mehr Kinder als noch vor fünf Jahren. Zudem sind von 2015 bis 2017 mehr Familien mit Kindern zugewandert als ausgewandert.

Resultat: Zuletzt gab es rund 4,6 Millionen unter Sechsjährige in Deutschland, eine halbe Million mehr als fünf Jahre zuvor. Neben mehr Hort-Plätzen seien deshalb auch mehr Kindergartenplätze nötig. Doch den Kommunen mangelt es an Planern, an Grundstücken – sowie an Erzieherinnen und Erziehern.

Der Erzieher-Beruf muss attraktiver werden

„Wir brauchen in den nächsten Jahren 215.000 zusätzliche Erzieher, um für eine optimale Betreuung zu sorgen“, sagt Geis-Thöne. Dazu müsse man die Kapazitäten an den Fachschulen ausbauen. Zudem muss der Beruf attraktiver werden. Familienministerin Franziska Giffey macht dafür eigens 300 Millionen Euro locker, um einige Tausend Betreuer-Azubis finanziell zu unterstützen. Denn noch immer erhält nur jeder fünfte von ihnen Lohn.

Mehr Erzieher braucht man auch für eine bessere Betreuung. Aktuell kommen auf einen von ihnen im Bundesschnitt 4,2 unter Dreijährige, für optimal halten Experten ein Verhältnis von eins zu drei. Hier haben meist westdeutsche Länder die Nase vorn. Die Betreuungslücke dagegen ist traditionell im Osten der Republik kleiner. Dennoch bleibt der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für viele Eltern blanke Theorie.