Wenn sich vieles gleichzeitig ändert, kann es helfen, sich auf die eigenen Werte zu besinnen. Das ist das Motto der Hannoveraner Agentur Identitätsstiftung. Sie berät Unternehmen in Transformationsprozessen und setzt dabei vor allem auf das sogenannte Storytelling: Betriebe sollen zusammen mit ihren Mitarbeitern ihre Unternehmensgeschichte entdecken – und davon erzählen. aktiv hat den Agentur-Inhaber Lutz Woellert gefragt, wie das funktioniert.
Herr Woellert, warum brauchen Unternehmen Geschichten?
Weil Geschichten die Identität ausmachen: Was wir sind, ist das, was wir oder andere über uns erzählen. Wir Menschen sitzen schon seit Tausenden von Jahren ums Lagerfeuer und lauschen Geschichten. Und sind vor allem dann emotional berührt, wenn sie authentisch sind. Die eigene Geschichte zu erzählen, ist für Unternehmen deshalb eine Chance, Menschen mitzunehmen – innen wie außen.
„Storytelling“, das klingt nach Marketing-Märchen für die Imagebildung …
Ums Image geht es bei der Identitätsarbeit aber gerade nicht! Sondern darum, an den Kern eines Unternehmens heranzukommen. Das ist daher auch kein Projekt der Marketingabteilung. Wir binden Mitarbeiter aus allen Bereichen ein.
Aber jedes Unternehmen steht ja bereits für etwas. Zum Beispiel dafür, besonders innovativ oder nachhaltig zu sein.
Ich glaube, Unternehmen verstecken sich gern hinter Marketing-Blabla und erzählen über sich nicht authentisch. Ein Beispiel sind oft die sogenannten Unternehmenswerte: Solche Leitbilder sind meist glatt gebügelt. Das ist problematisch, denn Werte sind nie widerspruchsfrei. Da muss man nur mal auf sich selbst schauen: Man kann zum Beispiel gleichzeitig die Werte Freiheit und Sicherheit vertreten – ich habe das Bedürfnis nach einem sicheren Job und gleichzeitig den Wunsch, eine lange Reise zu machen. Als Menschen stehen wir täglich in solchen Wertekonflikten. Das ist total normal und Betrieben geht es genauso. Nur lassen sie das selten durchblicken.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Wir haben mal ein Unternehmen beraten, das sich die Werte „dynamisch“ und „stabil“ gegeben hat. Das sind zwei Pole, die sich heftig widersprechen. Und das sieht man auch an der Belegschaft: Dort arbeiten Menschen, die seit Jahrzehnten dabei sind und Sicherheit gewohnt und es gibt neue Mitarbeiter, die Dynamik mitbringen. Das knallt aufeinander und das darf es auch! Denn darin steckt Energie – und eine Geschichte, die sich zu erzählen lohnt.
Wie kommen Sie denn an solche ungeschönten Geschichten?
Im Dialog mit den Beschäftigten. Wir fragen: Was macht eure Geschichte aus? Das muss nicht die klassische Heldenreise sein, die man aus Hollywood-Filmen kennt. Es kann auch ein starkes Gründungsmotiv sein oder ein verbindendes Element, das in einer Krise dazugekommen ist. Wir bitten Mitarbeiter zum Beispiel: Zeichnet mal die Lebenslinie eures Unternehmens. Wo gab es Höhen, wo gab es Tiefen? Wo wurde etwas verändert, wo nicht? Da wird man zwischen den Mitarbeitern immer Gemeinsamkeiten finden. Die Suche nach diesen Gemeinsamkeiten ist es, was Unternehmensgeschichten ausmacht.
Wenn die Story fertig ist, soll sie auch den Beschäftigten nahegebracht werden. Was haben die denn davon?
Eine solche authentische Geschichte gibt Halt in den vielen Transformationen, die Unternehmen durchlaufen. Klimawandel, demografischer Wandel, KI, dazu globale Krisen – solche Veränderungen beschäftigen Mitarbeiter massiv. Ständig wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Sich dabei auf die eigene Identität zu besinnen, kann helfen, nicht aus der Bahn zu fliegen.
Es geht also darum zu erkennen: Was macht uns aus, was wollen wir bewahren?
Genau! Deshalb sind die Werte, für die ein Unternehmen steht, und die Geschichte, die es über sich erzählt, kein Nice-to-have. Sondern im Gegenteil: Das ist eine Kraftquelle, Veränderungen durchzustehen, ohne sich zu verlieren.

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Klavier in einer Band.
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