Nürnberg/Berlin. Die Herausforderung ist die größte seit der Wiedervereinigung: In relativ kurzer Zeit sind über eine Million Menschen vor Krieg oder Unterdrückung zu uns geflohen. Ihnen zu helfen, gebietet die Menschlichkeit – ganz egal, ob sich das irgendwann mal rechnet. Trotzdem ist es wichtig, die ökonomischen Folgen des Andrangs zu beleuchten, etwa für den Arbeitsmarkt.
Zuletzt ist die Zahl der Neuankömmlinge wieder deutlich gesunken, die örtlichen Behörden und die vielen ehrenamtlichen Helfer können sozusagen vorsichtig vom Krisen- in den Integrationsmodus schalten. Die richtige Zeit also für eine Zwischenbilanz.
1. Wer ist da eigentlich gekommen?
Vereinfacht gesagt: vor allem junge Männer aus dem Orient. Das zeigen die bisher gestellten Asylanträge. Sieben von zehn Antragstellern sind noch keine 30 Jahre alt. Gut zwei Drittel sind männlich. Das wichtigste Herkunftsland ist nach wie vor Syrien, inzwischen folgen – mit großem Abstand – der Irak und Afghanistan.
Der starke Andrang aus Albanien und anderen Westbalkanstaaten ist vorüber – denn aus diesen Ländern darf praktisch niemand hierbleiben. Das belegt die Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg. Wer dagegen aus Syrien flieht, erhält fast immer „die Rechtsstellung als Flüchtling zugesprochen“, damit verbunden ist eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst drei Jahre.
Offen ist, wie viele Menschen später wieder in ihre Heimat zurückkehren werden, falls dort mal bessere Zeiten anbrechen. Auch sonst weiß man über etliche Neuankömmlinge praktisch – nichts. Nicht einmal ihre genaue Zahl steht bisher fest. Und Schätzungen zufolge sind gut 300.000 Menschen schon eine Weile im Lande, haben aber noch keinen Asylantrag stellen können.
2. Dürfen und wollen die alle arbeiten?
Nein. Zumindest nicht sofort. Mehr als ein Viertel ist laut BAMF-Statistik noch keine 16 Jahre alt. Dazu kommen etwa Mütter, die vorerst nicht arbeiten wollen (oder aus Sicht ihrer Männer nicht sollen).
Wer direkt einen Job antreten möchte, hat ohne Aufenthaltsgenehmigung kaum eine Chance. Bis die vorliegt, vergeht nach der Registrierung viel Zeit: erst warten auf das Stellen des Asylantrags, dann warten auf die Entscheidung – beides kann Monate dauern.
Was dann vor allem wichtig wird: wenigstens Grundkenntnisse unserer Sprache. Und viele Flüchtlinge kennen nicht einmal die in Europa üblichen Buchstaben. „86 Prozent der Personalleiter sehen mangelnde Deutschkenntnisse als große Hürde“, meldet das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo nach einer Umfrage bei gut 1.000 Firmen.
3. Welche Qualifikationen haben die Flüchtlinge?
Da stochern selbst Experten im Nebel, es gibt kaum belastbare Daten. Natürlich sind unter den Geflohenen im erwerbsfähigen Alter auch Akademiker. Aber: „Etwa zwei Drittel haben keinen berufsqualifizierenden Abschluss“, sagt Ifo-Bildungsexperte Professor Ludger Wößmann. Selbst die Qualifizierten werden laut Bundesagentur für Arbeit etwa zwei Jahre brauchen, um die hohe Produktivität der einheimischen Kollegen zu erreichen.
Zum Schulbesuch liegen inzwischen umfangreiche Selbstauskünfte vor. Allerdings liege das Leistungsniveau in Syrien „vier bis fünf Schuljahre hinter dem gleichaltriger deutscher Jugendlicher“, merkt Wößmann an. Er warnt: „An einer dreijährigen Ausbildung mit hohem Theorieanteil würde die Mehrheit scheitern.“ Ein Ausweg könnten Teilqualifizierungen sein, etwa in Pflege oder Handwerk.
4. Wie stark steigt jetzt die Arbeitslosenquote?
Fürs Erste – kaum. Es dauert, bis jemand, der bleiben darf, arbeiten will und einen Sprachkurs oder andere Qualifizierungen absolviert, in der Statistik auftaucht. „Von den anerkannten Flüchtlingen werden zum Jahresende 2017 etwa 360.000 Personen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“, prognostiziert der Sachverständigenrat der Regierung („Fünf Weise“), davon dürften zwei Drittel arbeitslos sein. Die Arbeitslosenquote werde von 6,4 Prozent im Jahresdurchschnitt 2016 auf 6,7 Prozent 2017 steigen.
„Flüchtlinge werden sich nur langsam in den Arbeitsmarkt integrieren“, betont auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. „Wesentlich“ dafür seien unter anderem „Investitionen in Bildung“ sowie die „Aufnahmebereitschaft der Wirtschaft“.
5. Was schiebt die Regierung gerade an?
Das geplante „Integrationsgesetz“ soll auch dazu beitragen, dass die Betriebe und die potenziellen Mitarbeiter von übermorgen schneller zusammenkommen. So wird die „Vorrangprüfung“ (die Bewerber aus Deutschland und anderen EU-Staaten besserstellt), in Gebieten mit geringer Arbeitslosigkeit ausgesetzt. Dort wird Flüchtlingen auch Zeitarbeit erlaubt.
Beginnen „Geduldete“ – egal welchen Alters – eine Ausbildung, dürfen sie bis zu deren Abschluss im Land bleiben; werden sie dann nicht übernommen, haben sie noch sechs Monate Zeit für die Jobsuche. Fördermaßnahmen wie die „ausbildungsbegleitenden Hilfen“ soll es großzügiger als bisher geben.
Das alles sind wichtige Schritte. Auf einem sehr langen und schwierigen Weg.