Lindau. Geduldig erklärt Thomas Lampert seinen Mitschülern, wie man vom Kreis zum Flächengewicht des Papiers kommt. Am Beispiel einer Kartonprobe, wie sie den angehenden Packmitteltechnologen im Berufsleben immer wieder begegnen wird – in der Qualitätskontrolle. Am Nachbartisch paukt Edwin Fast mit anderen Azubis Mathe. Und in einer weiteren Gruppe dreht sich alles um Pneumatik: Alexander Schmittknecht will seine Kollegen für die nächste Klassenarbeit fit machen.
Moment mal. Sind etwa heute alle Lehrer krank? Oder kommen die jungen Leute vielleicht alle aus dem gleichen Betrieb?
Bundesweit einmaliges Programm
Weder noch. Wir sind Zeuge eines in der Branche bundesweit einmaligen Programms: Starke Schüler bringen die Schwächeren voran, nach klaren Regeln. Den Tutoren selbst fällt die Ausbildung dank Abi leichter. Wie ihre Mitschüler wollen sie Packmitteltechnologe werden – dazu kommen sie regelmäßig aus ganz Bayern zum Blockunterricht am Staatlichen Berufsschulzentrum (BSZ) Lindau.
Das Besondere hier: Zusätzlich zum normalen Unterricht setzen sich die Schüler einmal pro Woche zusammen, um in ihrer Freizeit Lehrstoff zu vertiefen.
Unter ihnen ist Michael Berthold. Er ist im ersten Ausbildungsjahr und hat vor allem mit Mathe und Physik seine Schwierigkeiten. „Ich muss viel aufholen, weil ich schon lange nicht mehr zur Schule gegangen bin“, sagt der 28-Jährige offen. „Aber seit ich hier mitmache, klappt es viel besser – und beim letzten Test waren alle meine Aufgaben richtig.“
Tutor Alexander Schmittknecht macht so eine Aussage stolz: „Es ist toll, zu erleben, wie sich die Kollegen über ihre besseren Leistungen freuen.“ Schmittknecht war sofort dabei, als er von dem Programm hörte. Er wollte nicht nur zuschauen, wenn andere möglicherweise scheitern, weil Grundlagen aus der Schule fehlen. „Da muss man doch helfen“, findet er.
„Die Mitschüler trauen sich bei uns einfach mehr zu fragen als bei den Lehrern“, ergänzt Tutor Edwin Fast. „Und durch das Erklären beschäftigt man sich selbst viel intensiver mit dem Unterrichtsstoff.“ So profitieren beide Seiten.
„Das Tutoren-Programm läuft seit zwei Jahren – und ist ein voller Erfolg“, sagt Josef Fröhlich, Abteilungsleiter Packmitteltechnologie am BSZ Lindau. Seit über 30 Jahren unterrichtet er schon hier – sein Eindruck: „Heute sind die Jugendlichen durch die modernen Medien sehr abgelenkt und dadurch nicht mehr so gut auf die Ausbildung vorbereitet wie früher – deshalb werden zusätzliche Fördermaßnahmen immer wichtiger.“
Doch in den normalen Lehrplan passen solche Extras meistens nicht rein. „In den großen Klassen mit oft über 30 Schülern und einem prall gefüllten Programm fehlt uns die Zeit, auf Schwächen groß einzugehen“, bestätigt Lehrer Johannes Wörtz. Gemeinsam mit seinen Kollegen kam er deshalb auf die Idee, gute Schüler als Tutoren einzusetzen.
Diese Idee griff der Verband der Bayerischen Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie (VBPV) tatkräftig auf – und erarbeitete ein konkretes Konzept. Gemeinsam mit dem Arbeitskreis für Ausbilder aus Mitgliedsunternehmen legte man Rahmenbedingungen für das Programm fest, in das auch die jeweils zuständigen Ausbilder der Schüler eingebunden sind. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung von Schülern des ersten Ausbildungsjahrs.
Bessere Leistungen und Extra-Lob im Zeugnis
Inzwischen will die Tutoren niemand mehr missen. Die Schwächeren punkten mit besseren Leistungen, die Tutoren wiederum können sich über ein Extra-Lob im Zeugnis und eine finanzielle Anerkennung des Verbands freuen. Johanna Schilling, Referentin für Personalentwicklung beim VBPV, erklärt dazu: „Die Qualität der Ausbildung kann gar nicht hoch genug sein. Diese jungen Menschen sind die Zukunft unserer Betriebe – also ist es richtig und wichtig, jeden einzelnen so gut wie möglich zu fördern.“