Berlin/Köln. Der Blick auf die Gehaltsabrechnung zeigt, was große politische Ziele den Bürger kosten: Wer 1.000 Euro Einkommensteuer zahlt, macht zusätzlich 55 Euro im Monat für den Aufbau Ost locker – weil mit 5,5 Prozent der Solidaritätszuschlag obendrauf kommt.
In diesen Tagen steht der Soli, vor einem Vierteljahrhundert zunächst nur befristet beschlossen, wieder mal auf der politischen Agenda. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel pocht darauf, an dem Zuschlag über 2019 hinaus festzuhalten. Dann läuft der „Solidarpakt II“ zur Unterstützung der neuen Länder aus.
Obwohl die Steuereinnahmen insgesamt steigen, wirbt der SPD-Chef dafür, den Soli zu behalten – und auch für strukturschwache Regionen im Westen einzusetzen: „Mit der Förderung nach Himmelsrichtung muss es vorbei sein.“
Bürger und Betriebe könnten entlastet werden
Auch die Koalitionspartner von CDU und CSU haben es nicht eilig mit dem völligen Ausstieg. So wird in der Union allenfalls eine schrittweise Absenkung bis 2030 für möglich gehalten.
„An dieser Haltung zeigt sich der politische Instinkt“, sagt Michael Thöne, Geschäftsführer des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts der Universität Köln. „Weil das Einführen neuer Steuern mit großem Ärger verbunden ist, hält man an einer sicheren Einnahmequelle fest, selbst wenn das derzeit nicht wirklich nötig ist.“
Schließlich kann der Fiskus in diesem Jahr laut jüngster amtlicher Steuerschätzung mit 691 Milliarden Euro rechnen, 5 Milliarden mehr als noch im vergangenen November kalkuliert. Dazu trägt der Soli mit 16,4 Milliarden Euro bei. Diese Summe stammt zu überschlägig 80 Prozent aus der Einkommensteuer und zu je 10 Prozent aus Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer.
Auch für die kommenden Jahre werden Rekordeinnahmen prognostiziert. Die Große Koalition könnte es sich also leisten, Bürger und Unternehmen vom Soli zu entlasten, solange so viel Geld reinkommt.
Aus finanzwissenschaftlicher Sicht, so Ökonom Thöne, „wäre eine atmende Steuerpolitik sinnvoll, die sich jeweils dem schwankenden Ausgabenbedarf des Staats anpasst“. Doch für das politische Überleben ist so etwas nicht unbedingt klug. „Steuersenkungen werden der Politik halt weniger lange gedankt, als man ihr spätere Steuererhöhungen übel nimmt“, erklärt Thöne das Kalkül.
Zumal die erwarteten Mehreinnahmen längst verplant sein dürften. Sie mindern den Druck, kritisch auf die Ausgaben zu gucken. Denn für den Soli gibt es keine Zweckbindung. Über das Geld kann die Regierung so frei verfügen wie über alle Steuereinnahmen.
Der Gesetzgeber kommt in Erklärungsnöte
„Die Bezeichnung Solidarbeitrag ist daher reine Kosmetik“, sagt der Wissenschaftler. Bei der Einführung 1991 habe es sich der Gesetzgeber damit einfacher gemacht. Doch jetzt, wo sanierte Innenstädte und gut ausgebaute Autobahnen den Osten schmücken, kommt die Politik in Erklärungsnöte.
Da kommt der Ruf nach Investitionen in die Infrastruktur des Westens – zumal sie etwa angesichts maroder Brücken dringend nötig sind – gerade recht. Und so wird Deutschland den Solidarbeitrag wohl noch viele Jahre behalten.