Berlin. In Kaluga, 160 Kilometer südwestlich von Moskau, ist das Verhältnis zwischen Deutschen und Russen besonders gut: Satte 180 Millionen Euro hat der Autobauer VW dort Ende vergangenen Jahres in sein Montage- und Motorenwerk investiert.
Es geht wieder was in Russland – besonders für die deutsche Wirtschaft. Sie ist nach China der zweitgrößte Handelspartner des Landes.
Moment mal! Handel mit Russland, trotz der Sanktionen wegen der Annexion der Krim? Zwar hat die EU ihre Investitions- und Handelsbeschränkungen bis Ende Juli verlängert. Der Austausch zwischen Deutschland und Russland zog zuletzt trotzdem kräftig an. Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres stieg laut Statistischem Bundesamt der Warenverkehr zwischen beiden Ländern im Vergleich zum Vorjahr um 37 Prozent – auf 9,5 Milliarden Euro. Schon freut sich Wolfgang Büchele, Chef des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft in Berlin: „Ich halte 10 Prozent und mehr für nachhaltig möglich.“
Vielen Experten geht dieser Optimismus jedoch zu weit. Sie sehen den Aufschwung in Russland eher skeptisch. „Der russischen Wirtschaft fehlt der nötige Produktivitätszuwachs“, dämpft Andreas Schwabe den Optimismus. Er ist Länder-Experte der Raiffeisenbank International in Wien, die auch deutsche Unternehmen bei ihrem Engagement in Russland berät. Deshalb sei langfristig kein höheres Wirtschaftswachstum als 1 bis 2 Prozent absehbar. Ähnlich sieht das der Internationale Währungsfonds.
Von einem „Armutszeugnis für die Russen“ angesichts dieser Perspektive spricht Schwabe. Zwar habe man es geschafft, sich dem Fall des Ölpreises anzupassen, wichtige Reformen blieben bislang jedoch aus, so der Experte.
Immer noch ist der Staat mit vielen Unternehmen verflochten und zu fast 70 Prozent an der wirtschaftlichen Wertschöpfung beteiligt, Eigentumsverhältnisse sind unsicher, die Korruption blüht. Im Index der Organisation Transparency International liegt das Land auf Platz 131, umgeben von Staaten wie Nepal oder Iran. Folge: „Es fehlen Investitionen, um Kapazitäten auszuweiten und die Wirtschaft zu diversifizieren“, so Schwabe.
Die kämpft mit einer extremen Schlagseite Richtung Rohstoffgewinnung. Dort nahm die Produktion 2016 um 2,5 Prozent zu. Die verarbeitende Industrie stagnierte. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt sank auf 13,7 Prozent, 2014 waren es noch über 15 Prozent.
Wie abhängig das Land von Rohstoffen ist, zeigt die Exportstatistik: Mit 150 Milliarden Euro waren Öl und Gas 2016 die wichtigsten Exportgüter. Das waren 60 Prozent der Gesamtausfuhren. „Damit bleibt die Entwicklung im Land stark an den schwankenden Ölpreis gebunden“, so Schwabe.
Und die russische Bevölkerung? Sie hatte 2016 trotz etwas höherer Löhne wegen der Inflation 6 Prozent weniger in der Tasche als im Jahr davor. Die Kosten für Transport, Wohnen und Gesundheitsversorgung sind um 30 Prozent gestiegen.
Schwabe ist überzeugt: „Ohne Reformen macht die Wirtschaft keine großen Sprünge.“ Ex-Finanzminister und Putin-Berater Alexej Kudrin will zwar den Einfluss des Staates in der Wirtschaft zurückdrängen und strebt eine Erhöhung des Rentenalters an. Dass Wladimir Putin dies alles umsetzt, ist aber eher unwahrscheinlich. Im Wahljahr 2018 kann er Kritik noch weniger gebrauchen als sonst.