Brüssel/Berlin. Mögen sich die Mega-Themen Brexit und „Green Deal“ in den Schlagzeilen noch so breitmachen: Mindestens genauso wichtig für Europas Zukunft ist die Industriepolitik der EU. Und für die ist seit Kurzem ein Franzose verantwortlich, der eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte vorweisen kann.
Der frischgebackene EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton hat weder einen Abschluss an einer der für französische Karrieren obligatorischen Elite-Universitäten, noch ist er als Parteipolitiker aufgefallen. Dafür hat er große Unternehmen wie France Télécom als Chef aus der Krise geführt. Und dann beim Digitaldienstleister Atos innerhalb von zehn Jahren nicht nur den Umsatz verdoppelt, sondern auch die Zahl der Mitarbeiter – auf über 100.000.
Bretons großes Ziel ist eine europäische Cloud
Bei seiner Bewerbungsrede vor dem EU-Parlament aber hob der 64-Jährige etwas ganz anderes hervor: „Besonders stolz bin ich auf meine Enkelkinder Louis und Anna, die Deutsche sind und in Berlin leben.“
Die emotionale Basis ist also gelegt für eine gute Zusammenarbeit mit der deutschen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, als siebenfache Mutter ebenfalls ein Familienmensch.
Einen guten Draht zu den Deutschen braucht Breton auch für sein großes politisches Ziel: die Schaffung einer europäischen Cloud, in der die Regierungen und Behörden der EU-Staaten ihre Daten speichern sollen. Die digitalen Sicherheitsinteressen Europas wolle er mindestens so klar vertreten, „wie das Donald Trump für die USA tut“, hatte er in einem Interview der „Zeit“ anvertraut.
Gelingen kann das freilich nur, wenn auch die Regierung des größten EU-Staates mitspielt. Breton jedenfalls verspricht sich von einer europäischen digitalen Infrastruktur handfeste Vorteile für die Wirtschaft in Europa – etwa im Wettbewerb mit US-Internetgiganten.
Die Erwartungen, denen der Franzose und seine deutsche Chefin gerecht werden müssen, sind hoch. „Die deutsche Industrie appelliert an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, zügig eine moderne EU-Industriestrategie vorzulegen“, sagt zum Beispiel Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI in Berlin: „Die Stärkung der Industrie in Europa muss bei den angekündigten klima-, umwelt- und digitalpolitischen Initiativen forciert werden.“
Wettbewerbsfähige Industrie stärken
Ohne eine wettbewerbsfähige Industrie, heißt es beim BDI, gebe es „keine innovativen technologischen Lösungen, die für die Bewältigung der anstehenden großen Aufgaben nötig sind“.
Im zweiten Halbjahr 2020 übernimmt Deutschland die Ratspräsidentschaft innerhalb der EU. Das sei „der ideale Moment, um eine Industriestrategie europaweit zu verankern“, stellt Lang fest.
Ob die neue EU-Kommission das schaffen wird? Thierry Breton jedenfalls sagt entschlossen: „Gemeinsam mit Ursula von der Leyen werde ich in einer immer unsichereren Welt für ein souveränes und starkes Europa kämpfen.“