Das Ausbildungsjahr hat begonnen – und damit für viele junge Menschen in der Textilbranche ein neuer Lebensabschnitt und ein Grund, positiv in die Zukunft zu schauen. „Für die Betriebe gilt dieser Optimismus leider ganz und gar nicht“, sagt Detlef Braun. Als Geschäftsführer an der Textilakademie NRW in Mönchengladbach kennt er die Nöte der Unternehmen beim Thema Ausbildung. Sie spiegeln sich auch in den Bewerberzahlen der Akademie. „Im letzten Jahr hatten wir noch 120 Neuanmeldungen für unseren Berufsschulzweig“, sagt Braun. In diesem Jahr rechnet er mit einem Minus von über 10 Prozent.
Was Braun beschreibt, bedeutet für die Unternehmen vor Ort: Bewerbungen – Fehlanzeige! Laut DIHK-Ausbildungsstatistik lag 2024 die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge für den Maschinen- und Anlagenführer Textiltechnik bundesweit unter dem Niveau von 2014. An dem Negativtrend konnten auch leichte Erholungen kaum etwas ändern. Hinzu kommt: Die Abbrecherquote liegt bei dem für die Branche so wichtigen Beruf im Schnitt seit Jahren bei 10 Prozent.

Azubi-Suche wird zur Daueraufgabe
Die Folgen erlebt Holger Hemsing täglich in seiner Arbeit. Der Ausbilder der Velener Textil einem Produzenten von Garnen und technischen Geweben aus dem westlichen Münsterland, würde gern mehr Auszubildende einstellen. „Wir haben einen Textilmaschinenführer im ersten und einen im zweiten Lehrjahr. Es war nicht leicht, diese zu bekommen.“
„Die jetzigen Azubis zu bekommen, war schon nicht leicht“
Holger Hemsing Ausbilder Velener Textil
Für ihn ist die Suche nach Bewerbern zur Daueraufgabe geworden. „Wir arbeiten mit der Gesamtschule in Gescher zusammen. Von dort kommen Interessenten, die bei uns in den Betrieb schnuppern“, sagt Hemsing. Überzeugt ist er von Langzeitpraktika, bei denen die Jugendlichen über Monate einen Tag pro Woche im Betrieb sind.
Praktika bis Social-Media-Aktivitäten: Die Unternehmen lassen sich einiges für den Nachwuchs einfallen. Dem Hauptproblem kommen sie damit jedoch nicht bei: „Es gibt schlichtweg zu wenige geeignete Bewerber. Schlimmer noch, es gibt generell kaum Bewerber“, sagt Braun. Das setzt das duale Ausbildungssystem unter Druck. Verschärft werde die Situation durch einen Sinneswandel in den Textilunternehmen, sagt Braun. Dort sei man bisher bereit gewesen, auch Bewerbern mit Defiziten eine Chance zu geben, die dann in der Ausbildung aufgefangen wurden.
Die Bereitschaft, Defizite aufzufangen, scheint zu schwinden
„Dazu scheinen viele Betriebe nicht mehr bereit zu sein“, sagt Braun. „Wenn sie nicht überzeugt sind, dass der Bewerber die Ausbildung schafft, lassen sie die Finger davon.“ Natürlich freut sich Ausbilder Hemsing über jeglichen jungen Interessenten: „Jedoch können wir nicht jedes Defizit auffangen. Ein gewisses Grundverständnis und Ausbildungsbereitschaft müssen vorhanden sein.“
„Wir werden Ausbildung in Zukunft neu denken müssen“
Detlef Braun, Geschäftsführer Textilakademie NRW
Wie lässt sich der Nachwuchsmangel mildern? „Kurzfristig gar nicht. Wir werden Ausbildung neu denken müssen“, so Braun. Er glaubt, dass KI und Robotik die Jobs erheblich verändern werden. Das müsse sich in den Ausbildungsberufen und Lehrplänen widerspiegeln. Wichtiger werden künftig auch niederschwellige Weiterbildungen oder modifizierte und verkürzte Teilqualifikationen für Berufs- und Quereinsteiger.

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
Alle Beiträge der Autorin






