Es knistert leicht, und es fühlt sich rau an: Das Vlies, das Sascha Schriever und Maximilian Mohr beim aktiv-Besuch zeigen, sieht recht unauffällig aus – etwa wie eine zerknitterte Küchenrolle. Doch dieses Produkt aus dem Institut für Textiltechnik (ITA) an der RWTH Aachen könnte schon bald eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielen!

„Was wir Ihnen heute zeigen, könnte tatsächlich der Schlüssel für nachhaltiges Dämmen im Hausbau sein“, sagt der promovierte Ingenieur Schriever stolz. Sein Kollege Mohr ergänzt: „Die Faser in diesem Vlies besteht zu 90 Prozent aus Luft! Man nennt sie Aerogelfaser.“ Und so eine Faser ist eben extrem wärmeisolierend – und dazu recycelbar.

Cellulose ersetzt erdölbasierte Polymere

Seit 2011 forschen die Wissenschaftler am ITA an dieser speziellen Faser. „Früher wurde als Grundstoff für solche Fasern synthetisches Polymer verwendet“, erklärt Schriever. „Wir wollten es aber mit nachhaltigen Stoffen probieren, die eben gerade nicht auf Erdöl basieren.“ 

Die Wahl fiel auf Cellulose: eine natürliche, organische Verbindung, problemlos abbaubar – und recycelbar. Sie zu verarbeiten, hatte zuvor wohl noch niemand geschafft– „das war also eine echte Herausforderung“.

Die ersten Fäden aus der innovativen Faser waren denn auch noch so spröde, dass sie für den weiteren Spinn- oder Webprozess nicht zu gebrauchen waren. Selbst die Versuchsanlagen im ITA-Technikum kamen mit der spröden Faser nicht zurecht. „Tatsächlich war dann noch viel Tüftelarbeit nötig“, erinnert sich Doktorand Mohr.

Erst vor gut anderthalb Jahren gelang der Durchbruch: „Wir sind jetzt in der Lage, nachhaltige Aerogelfaservliese zu fertigen, die auf herkömmlichen Produktionsanlagen weiterverarbeitet werden können“, sagt Schriever.

„Die neue Faser kann auf herkömmlichen Anlagen weiterverarbeitet werden.“

Sascha Schriever, Mitgründer von SA-Dynamics

Nanoporen schließen Moleküle vollständig ein

Wie das funktioniert, lässt sich im ITA-Technikum beobachten. Im Nassspinnverfahren wird dort ein schmales Band aus rund 3.000 superdünnen Fäden gefertigt. Dieser sogenannte Precursor (Vorläufer) landet dann nass und auf einer Spule aufgewickelt in einem Autoklav, also einem Druckbehälter zur thermischen Behandlung von Stoffen. „Was dort mit der Faser passiert, daran haben wir über Jahre geforscht“, sagt Schriever. Und genau dieses Geschäftsgeheimnis ist die Grundlage für ein unter anderem von Schriever und Chefentwickler Mohr gegründetes Start-up: SA-Dynamics.

Wobei das grundlegende Verfahren schon länger bekannt ist: Die Faser wird im Autoklav getrocknet. Dabei entstehen im Inneren der Faser unendlich viele winzige Hohlräume. „Wir haben jetzt die Parameter entwickelt, um mit diesem Verfahren auch Aerogelfasern aus Cellulose zu fertigen. Es kommt dabei auf eine ganz spezielle Kombination aus Druck, Temperatur und Dauer an.“

Gründer sehen großes Potenzial

Die winzigen Strukturen sind der Grund für die wichtigste Eigenschaft der neuen Faser: ihre extrem gute Wärmedämmung. „In diesen Nanoporen haben selbst Luftmoleküle keinen Platz mehr, um aneinanderzustoßen. Sie können also nicht mehr miteinander agieren oder Energie austauschen“, erklärt Mohr. So weit, so technisch. Aber was könnte uns das im Alltag bringen?

Das Team von SA-Dynamics sieht besonders bei der Dämmung von Häusern ein großes Marktpotenzial für die Faser. Nach Schätzung des Eigentümerverbands Haus & Grund müssen nämlich wegen der strengeren Anforderungen an die Energieeffizienz in den nächsten Jahren allein in Deutschland fast 15 Millionen Eigenheime und Wohnungen saniert werden.

„Unsere Faser könnte mit einer Holzfaserdämmung kombiniert werden, sie könnte auch als Einzelschicht in Form von Platten eingesetzt oder sogar mit Tapeten aufgebracht werden“, erklärt Schriever. „Unser Ziel ist es jetzt, mit Unterstützung unserer Pilotkunden aus der Baubranche und der Textil-Industrie das Material in den Anwendungen zu validieren und auf den Markt zu bringen.“

Kurz gesagt: Die Gründer wollen im großen Stil produzieren und müssen dafür kräftig investieren. Dabei wird ihnen hoffentlich auch ein gerade verteidigter Forschungsantrag des Bundeswirtschaftsministeriums helfen.

Das Start-up

  • SA-Dynamics entwickelt biologisch abbaubare Isolationsmaterialien in Form von Aerogelfasern. Dabei arbeiten Forscher des Instituts für Textiltechnik (ITA) und des Instituts für Industrieofenbau und Wärmetechnik (IOB) zusammen.
  • Im April erhielten die Gründer den Techtextil Innovation Award in der Kategorie „New Technologies on Sustainability & Recycling“.
  • Die förmliche Ausgründungals eigenes Unternehmen ist fürs Frühjahr 2025 geplant.

 

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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