Sie ist knapp drei Meter lang – und ein Statement: „Darin stecken die Arbeit und das über Jahre aufgebaute Know-how unserer Mitarbeitenden“, sagt Dania Stienemann über die Rolle aus grauem Vliesstoff, die ihre Kollegen beim aktiv-Besuch in die Kamera halten.

„Jahre“ ist dabei untertrieben: Es ist sogar ein halbes Jahrhundert Firmengeschichte, auf das die etwa 100 Beschäftigten der ALTEX Gronauer Filzdieses Jahr zurückblicken können. „1975 gründete mein Großvater mit meinem Vater das Unternehmen, mit gerade mal zehn Mitarbeitern“, sagt Stienemann, die mit ihrem Bruder Nico seit 2019 den Betrieb im westlichen Münsterland führt. Mitte der 1980er Jahre steht zunächst die Entwicklung und Fertigung von technischen Nadelvliesen im Vordergrund. Zu der Zeit kommen Industriemeister Peter Neißer und Textilmaschinenführer Marco Duday in den Betrieb: „Wir sind seit 40 Jahren dabei, haben also viele Entwicklungen mit begleitet“, sagt Duday.

„Wir sind seit 40 Jahren dabei, haben also viele Entwicklungen mit begleitet“ 

Marco Duday, Textilmaschinenführer

Die grundlegendste dabei: der Fokus aufs Recycling. Schon in den 1980ern begann ALTEX damit, recycelte Reißfasern zu verarbeiten. Ende der 2000er Jahre geht es dann in großem Stil los. „Reststoffe sind für uns keine Abfälle, sondern Rohstoffe. Recycling ist bei uns gelebte Praxis“, betont Vertriebsmann Christoph Segbert.

Rohstoff-Pipeline sorgt für gleichbleibende Vliesstoff-Qualität

Man mache aus textilen Produktionsresten und Alttextilien wieder Fasern und setze diese in der Vliesstoffproduktion ein. Für den Fasernachschub sorgt dabei das 1989 gegründete Schwesterunternehmen ALTEX Textil-Recycling. Das Kalkül dahinter erklärt Fred Humkamp aus der Produktions- und Betriebsleitung: „Wir verfügen so über eine eigene Rohstoff-Pipeline und können bis zum fertigen Vliesstoff für eine gleichbleibend hohe Qualität sorgen.“

Auf die setzen ALTEX-Kunden weltweit. Die technischen Vliese aus Gronau sind zwar bei der Anwendung unsichtbar, aber dennoch unverzichtbar. Mit ihren unterschiedlichen Anteilen an Recyclingfasern sorgen sie etwa für Akustik-Dämmung in der Automobil- und Möbel-Industrie. Sie stecken in Geotextilien und Teppichen (auch in recycelbaren „roten Teppichen“, über die Filmstars schreiten).Und sie kommen im Hoch-, Tief- und Landschaftsbau etwa als Dachbegrünungsuntergrund zum Einsatz. Jährlich durchlaufen so knapp 30 Millionen Quadratmeter Nadelvliese die fünf Vliesanlagen, in die jeden Monat bis zu 3.000 Tonnen recycelte Fasern beigemischt werden. Die Jahresproduktion würde reichen, um damit fast 4.000 Fußballfelder auszulegen. Knapp die Hälfte der Vliese geht in den Export. „Für unsere Kunden sind maßgeschneiderte Recycling-Lösungen besonders wichtig“, sagt Stienemann.

Persönliches Musterlager hilft bei der Qualitätsprüfung

Die Anforderungen sind unterschiedlich: Mal geht es um Robustheit und Langlebigkeit, mal um Komfort und Umweltverträglichkeit. Der lange Fertigungsprozess reicht vom Öffnen und Mischen der Fasern über die Fluorherstellung auf der Krempel und der Vernadelung bis hin zur Imprägnierung und Konfektion. Und immer überwacht ein erfahrenes Auge den Prozess.

Eines dieser Adleraugen ist ALTEX-Urgestein Duday. Über die Jahre hat sich der 62-Jährige, der ursprünglich Dekorateur gelernt hat, ein persönliches Musterlager aufgebaut. Dort liegen bunte Vliesmuster – aufgestapelt in Regalen, fein säuberlich beschriftet und sortiert nach Anwendung, Kunde und Herstelldatum. „Meine persönliche Qualitätskontrolle“, sagt Duday. „Macht eine Anlage Probleme, kann ich das gefertigte Vlies mit meinen Mustern vergleichen und herausfinden, wo es hakt.“

Dass das möglichst nie vorkommt, dafür sorgt auch Jonathan Deger. Er prüft im werkeigenen Labor etwa die Festigkeit oder das Brandverhalten der gefertigten Vliese – und das oft schon während der laufenden Produktion. „Die Ergebnisse sind Grundlage dafür, ob wir vielleicht Produktionsparameter verändern müssen“, sagt der 22-Jährige.

„Systementwickler und Impulsgeber“

Weil die Qualität eines Vlieses wesentlich davon abhängt, welche Fasern in welchem Mischungsverhältnis vernadelt werden, landen auf seinem Tisch auch flauschige Fasern. Sie müssen geprüft werden, bevor sie in den großen Mischern verschwinden.

„Wir verstehen uns als Entwicklungspartner und Impulsgeber beim Thema Recycling“

Sebastian Voß, Entwicklung

„Wir verstehen uns als Entwicklungspartner und Impulsgeber beim Thema Recycling“, so Sebastian Voß, verantwortlich für die Entwicklung neuer Geschäftsfelder. Ein wichtiges Ziel für die nächsten Jahre ist, die Kreisläufe konsequenter zu schließen: „Wir wollen Materialien so entwickeln, dass sie ihre Funktion optimal erfüllen und gleichzeitig am Ende ihres Lebenszyklus recycelbar sind.“ Deshalb beteiligt sich ALTEX an vielen Projekten. Nachwachsende Rohstoffe für den Geotextilienbereich etwa – also für Vliese, die im Erdreich verlegt werden – sind ein riesiges Thema.

Die Projekte gehen ALTEX auch nach 50 Jahren nicht aus. Stienemann: „Wir stehen Innovationen und allem Neuem offen gegenüber. Wir lieben es, neue Produkte zu entwickeln. Vor allem dann, wenn wir damit unsere Kunden begeistern können und der Umwelt etwas Gutes tun.“

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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