Es glitzert und blinkt nun wieder weihnachtlich in den Fenstern und an den Türen. Doch ob bunte Lichterkette, leuchtender Engel oder flauschiger Weihnachtshut, der größte Teil der heimeligen Dekoration hat eine gar nicht so besinnliche Herkunft: China. Von dort aus fluten Online-Plattformen wie Temu oder Shein die Märkte in den USA und der EU.

Allein an deutschen Flughäfen landen nach Schätzungen von Branchenexperten pro Tag etwa 400.000 Sendungen, die Kunden hierzulande bei den Plattformen bestellt haben – meistens zu Spottpreisen und in entsprechend minderer Qualität: Deko-Artikel, Textilien und Bekleidung, Schmuck, Haus- und Elektrogeräte, Spielwaren. Das Problem: „Die asiatischen Billigplattformen machen ihre Geschäfte nicht nur auf Kosten der Umwelt, sie setzen auch den freien, fairen Wettbewerb außer Kraft“, so Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie (textil + mode). Die Paketflut hat letztlich negative Folgen für die Kunden wie für die europäischen Wettbewerber – nicht nur in der Textilbranche. 

Käufer werden mit Fantasiepreisen, Spielen und Rabatten geködert

Während EU-Firmen sich an Produkt- und Sicherheitsstandards, Berichtspflichten und Lieferkettengesetzgebung halten müssen, „liefern die Plattformen Billigware, ohne annähernd den regulatorischen Aufwand und die Kosten europäischer Hersteller und Händler zu haben“, beklagt Mazura. 

Die Folgen zeigt etwa ein Testkauf des europäischen Spielzeugverbanddes europäischen Spielzeugverbands vom Februar: Keines der bei Temu georderten Spielzeuge entsprach den EU-Vorschriften. 18 von 19 Spielzeugen – also praktisch alle – stellten sogar ein Sicherheitsrisiko für die Kinder dar!

Die aggressive Ansprache der Plattformen kann bei unkundigen Käufern schnell wirken: Potenzielle Kunden werden mit Gewinnspielen, Rabattaktionen oder Fantasiepreisen zum Kauf gedrängt. Gibt es dann aber Probleme, finden geprellte Kunden meistens keinen Ansprechpartner. Retouren sind kaum möglich.

„Die Plattformen müssen sich endlich an EU-Gesetze halten“, fordert der Hauptgeschäftsführer. „Diesem ungleichen Wettbewerb zulasten von Herstellern und Handel in Europa muss ein Riegel vorgeschoben und Verbraucher vor gesundheitsgefährdenden und risikobehafteten Produkten geschützt werden.“ Ein Instrument dafür dürfte die EU-Zollrechtsreform sein, die allerdings erst für 2028 geplant ist: Dann soll die Bagatellgrenze von 150 Euro Warenwert wegfallen. Bis zu dieser Grenze wird derzeit keine Zollgebühr erhoben, die für Textilien zwischen 8 und 12 Prozent liegt.

Zwei Drittel der Sendungen unterlaufen das Zollrecht

Chinesische Online-Plattformen unterlaufen gerne diese Grenze, indem sie den Warenwert von Päckchen illegalerweise niedriger ausweisen oder Sendungen splitten. Experten schätzen, dass zwei Drittel der Pakete so das EU-Zollrecht umgehen! „Wir fordern deshalb, die Zollrechtsreform vorzuziehen – oder schon unter dem geltenden Zollrecht die Bagatellgrenze zu streichen.“

Gleichzeitig mahnt der Verband textil + mode intensivere Anstrengungen an, geltendes europäisches Recht gemeinsam durchzusetzen: „Wir brauchen hier mehr, nicht weniger Europa.“

So könnten etwa Plattformen aus Drittstaaten gesperrt werden, wenn diese der Pflicht zur Benennung eines in der EU niedergelassenen Vertreters nicht erfüllen: Ab Mitte Dezember sind Online-Marktplätze in der EU verpflichtet, eine verantwortliche Person zu benennen.

Ein erster Schritt, damit sich Temu, Shein und Co. nicht mehr vollends wegducken können. Zu tun aber bleibt noch deutlich mehr, um die gefährliche Flut der Billigware einzudämmen.

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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