Eigentlich sind die düsteren Zeiten doch vorbei: Die Corona-Lockdowns sind Geschichte. Die Lieferketten haben sich beruhigt. Die Energiemärkte haben sich stabilisiert – wenn auch auf sehr hohem Preisniveau. Die Weltwirtschaft wächst. Eigentlich könnte es doch wieder vorwärtsgehen in Deutschland und Bayern. Aber eben nur eigentlich.

Die Realität sieht leider ganz anders aus. Wirtschaftliche Erholung? Fehlanzeige! Im vergangenen Jahr ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,2 Prozent geschrumpft. Für dieses Jahr erwarten Experten ein Mini-Wachstum von 0,1 bis 0,3 Prozent.

Konjunkturflaute zeigt sich in steigender Arbeitslosenzahl

Nimmt man alle Daten und Fakten genau unter die Lupe, zeigt sich, dass unser Land wirtschaftlich vier Jahre hinterherhinkt. Denn die gesamtwirtschaftliche Lage hat bisher nur das Vor-Corona-Niveau erreicht. Wir stehen auf dem Stand von 2019 – ein Jahr, in dem die Konjunktur im Vergleich zu den Boomjahren bis 2018 bereits abgeflaut war.

Diese anhaltende konjunkturelle Schwäche macht sich inzwischen auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Im August lag die Arbeitslosenquote in Bayern bei 3,9 Prozent – das sind 0,4 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Damit steht der Freistaat vergleichsweise gut da: Deutschlandweit waren im August 6,1 Prozent Arbeitslose registriert.

Allerdings ist es so, dass Entlassungen für viele Firmen auch in der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie (M+E) das allerletzte Mittel der Wahl sind. Viele Stellen werden einfach nicht nachbesetzt, seit Frühjahr 2023 sinkt die Zahl der neu gemeldeten offenen Stellen. Die bayerischen M+E-Arbeitgeberverbände bayme vbm rechnen damit, dass die Zahl der bayerischen M+E-Beschäftigten bis Jahresende um 7.000 schrumpfen wird. Im Ausland dagegen sind die Pläne der bayerischen M+E-Firmen deutlich expansiver: Dort entstehen neue Arbeitsplätze, dorthin fließen auch die Investitionen, zeigt eine aktuelle Umfrage zur konjunkturellen Lage von bayme vbm. Die De-Industrialisierung in Bayern schreitet damit voran.

Tarifpartner müssen den Standort nach vorn bringen

Auch die Kurzarbeit in bayerischen M+E-Unternehmen nimmt zu. Bei 14 Prozent der Firmen war dies bereits im Mai Realität. Insgesamt plant gut einer von vier Betrieben Kurzarbeit für die kommenden Monate.

Eines der wichtigsten Ziele der jetzt anlaufenden Metall-Tarifrunde muss es daher sein, alles dafür zu tun, um die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren und den Standort wieder nach vorn zu bringen. Dazu passt nicht, dass die Gewerkschaft mit 7 Prozent mehr Gehalt eine der höchsten Lohnforderungen der letzten Jahre auf den Tisch gelegt hat. aktiv nennt 7 Gründe, warum 7 Prozent der falsche Weg sind.

1. Die Auftragslage ist schwach. Bei den Unternehmen wird immer weniger bestellt. Das sorgt für Unsicherheit und wird vielerorts zur Belastung für die Betriebe

Die Stimmung in der bayerischen M+E-Industrie ist derzeit mies. Warum, zeigt unter anderem der Blick auf die Auftragslage der Betriebe, die bundesweit nun schon seit drei Jahren einen negativen Trend beobachten (siehe Grafik). Seit der Erholung nach der Coronakrise geht es mit einem kleinen Auf und Ab kontinuierlich nach unten

Im ersten Halbjahr 2024 lagen die Bestelleingänge um fast 5 Prozent niedriger als im Vorjahr. Zudem werden die bestehenden Aufträge nicht vollständig abgerufen, was die Unternehmen vor zusätzliche Herausforderungen stellt und den Gewinn schmälert. Eine Aussicht auf eine grundlegende Verbesserung der Situation ist nach Ansicht vieler Experten nicht in Sicht.

Aktuell sorgt der Mangel an Aufträgen bereits für Probleme und Unsicherheit, die für zahlreiche Unternehmen mittlerweile zu einer großen Belastung geworden sind. Laut Konjunkturtest des Ifo-Instituts ist der Auftragsmangel der mit Abstand größte Hemmfaktor für die bayerischen M+E-Unternehmen. Zwei Drittel berichten, dass ihre Produktion durch fehlende Aufträge behindert wird – doppelt so viele wie vor einem Jahr!

Selbst große Probleme wie der Mangel an Fachkräften (29 Prozent) oder fehlendes Material (6 Prozent) beeinträchtigen die Produktion der bayerischen M+E-Betriebe aktuell deutlich weniger als das Ausbleiben von Aufträgen.

2. Die Produktion wird vor allem im Inland deutlich zurückgefahren. Standorte im Ausland sind von aktuellen Problemen weitaus weniger betroffen

Auch die Produktion der bayerischen M+E-Industrie leidet derzeit. Viele Beschäftigte bekommen das hautnah mit. Im zweiten Quartal 2024 ging der Output zum dritten Mal in Folge zurück. Der Wert liegt nun aktuell mehr als 15 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2018. Die bayerischen M+E-Arbeitgeberverbände bayme vbm prognostizieren für das Gesamtjahr 2024 einen durchschnittlichen Rückgang der Produktion um 2 Prozent.

Auch die Kapazitätsauslastung ist in den vergangenen knapp zwei Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Im Juli lag sie bei 78 Prozent. Das ist abgesehen vom Einbruch während der Coronazeit der niedrigste Stand seit 14 Jahren.

Die Produktionspläne verheißen ebenfalls nichts Gutes für den heimischen Standort. Vor dem Hintergrund aktueller Probleme beabsichtigen laut der Konjunkturumfrage von bayme vbm viele Unternehmen, ihre Produktion weiter zurückzufahren. Vor allem im Inland haben die Unternehmen vor, ihre Aktivitäten im zweiten Halbjahr 2024 einzuschränken.

3. Die Inflation in Deutschland ist deutlich schwächer geworden – und die Tarifentgeltsteigerungen haben die Teuerungsrate zuletzt mehr als ausgeglichen

Es wird alles teurer – deswegen müssen die Löhne ordentlich rauf! Diese Argumentation passt nicht mehr in die Zeit. Denn die Inflationsrate in Deutschland, die noch vor zwei Jahren bei knapp 7 Prozent lag, ist mittlerweile deutlich gesunken. Im August lag sie bei 1,9 Prozent und damit erstmals seit dreieinhalb Jahren wieder unter 2 Prozent. Auch in naher Zukunft erwarten Experten kein erneutes Aufflammen der Inflation. Fürs kommende Jahr 2025 wird eine Inflationsrate von 2,1 Prozent erwartet – ein Wert, der nur geringfügig vom Inflationsziel der Europäischen Zentralbank abweicht.

Damit nähert sich die Inflationsrate wieder einem niedrigen Niveau an, von dem die Arbeitnehmer in den zurückliegenden Jahren deutlich profitiert haben. Denn trotz der zahlreichen Krisen sind die Tarifentgelte in der bayerischen M+E-Industrie in der Vergangenheit deutlich gestiegen. Real, also nach Abzug der Inflation, kletterten sie in den vergangenen 15 Jahren um knapp 13 Prozent.

4. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass die Arbeitskosten an den Standorten Bayern und Deutschland schon heute viel zu hoch sind. Hier noch weiter draufzusatteln, gefährdet heimische Produktion und damit in letzter Konsequenz auch Arbeitsplätze

Die Arbeitskosten gehören in Bayern und Deutschland schon heute zu den höchsten weltweit. Sollen die Löhne weiter ordentlich steigen, ist das für die Unternehmen nur verkraftbar, wenn das durch eine wachsende Produktivität gerechtfertigt ist. Und daran hat es zuletzt gehapert.

In der M+E-Industrie entwickelt sich die Produktivität bereits seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 sehr schwach und im Trend seitwärts. 2023 stieg sie um 1 Prozent und liegt damit nur knapp über dem Niveau von 2007 oder dem Jahr vor der Coronakrise (2019). Im Vergleich zum konjunkturellen Boom der Jahre 2017 und 2018 liegt die Produktivität 2,5 Prozent niedriger.

Steigende Löhne bei konstanter Produktivität führen zu höheren Lohnstückkosten, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit heimische Produktion und Arbeitsplätze gefährden. Arbeitgeber und Gewerkschaften tragen die Verantwortung dafür, dass dies nicht geschieht.

5. Die Transformation erfordert viel Kraft – aber auch Investitionen. Doch das Kapital für die nötigen Projekte ist knapp und fließt zunehmend ins Ausland

Deutschland insgesamt hat ein Investitionsproblem. Und auch die Unternehmen halten sich seit Jahren zurück. Dabei erfordert die Transformation der Wirtschaft für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen einen enormen Finanzbedarf. Der Aufwand, um dem demografischen Wandel zu begegnen, die Digitalisierung voranzutreiben und um die Prozesse in den Betrieben klimafreundlicher zu gestalten, ist groß. Die Investitionen in neue Geschäftsmodelle, Infrastruktur und die Weiterbildung der Mitarbeiter kosten viel Geld.

Und das ist nicht immer vorhanden – auch bei den Unternehmen der bayerischen M+E-Industrie. Die Nettoumsatzrendite liegt laut Konjunkturumfrage von bayme vbm bei knapp der Hälfte der Unternehmen unterhalb von mageren 3 Prozent.

Hinzu kommt: Die negativen Einschätzungen zum Standort wirken sich auf die Investitionstätigkeit aus. Nach Zahlen des Kölner Beratungsunternehmens IW Consult fließt Geld für Investitionen der M+E-Industrie mittlerweile mehr aus Deutschland an ausländische Standorte, als dass Geld aus dem Ausland ins Inland kommt (siehe Grafik).

Besorgniserregend ist zudem: Von den zahlreichen Unternehmen, die laut bayme vbm Konjunkturumfrage ihre Neuinvestitionen aufgrund von Standortproblemen zurückgefahren haben, hat jedes fünfte seine Vorhaben sogar komplett gestrichen. Etwa die Hälfte von diesen will stattdessen lieber im Ausland investieren.

6. Die Betriebe kämpfen bereits mit hausgemachten Standortproblemen. Energiepreise, Steuern und Bürokratie belasten sie. Höhere Arbeitskosten können da nicht noch obendrauf

Die Bedingungen am heimischen Standort haben sich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert. Insbesondere für die Industrie werden sie im internationalen Vergleich immer unattraktiver. Die Gefahr der weiteren De-Industrialisierung ist real. Diese Analyseergebnisse teilt sogar die IG Metall – auch wenn sie daraus noch nicht die richtigen Schlüsse zieht.

Die Herausforderung für die bayerischen M+E-Betriebe sind bei Weitem nicht nur die weltweite Konjunktur und die moderaten Aussichten. Der heimische Industriestandort kämpft vor allem mit hausgemachten Strukturproblemen.

Laut bayme vbm Konjunkturumfrage sagen zwei Drittel der Firmen, dass sich die Standortbedingungen in den vergangenen 24 Monaten verschlechtert haben. 19 Prozent von ihnen haben bereits Produktion ins Ausland verlagert, 41 Prozent planen es. Die schlechten Rahmenbedingungen lasten schwer auf den Unternehmen und haben sich mittlerweile zum ernsthaften Standortrisiko entwickelt.

Die Unternehmen leiden neben den hohen Arbeitskosten vor allem unter zu hohen Energiekosten und einer überbordenden Bürokratie, die nicht nur nervt, sondern mit ihren zahlreichen Vorschriften und Dokumentationspflichten auch ins Geld geht. Zudem machen zu hohe Steuern und ein zunehmend unfairer internationaler Wettbewerb den Firmen zu schaffen. Aufgrund der Vielzahl an Problemen wäre eine deutliche Tarifsteigerung für die Betriebe noch schwerer als ohnehin schon zu verkraften.

7. Eine hohe Tarifbindung in der M+E-Industrie ist von hohem Wert. Ein neuer Tarifvertrag, der Unternehmen zu stark belastet, könnte viele von ihnen aus dem Tarif treiben

In der bayerischen M+E-Industrie gibt es aktuell etwa 870.000 Beschäftigte. Davon sind rund 470.000 bei Betrieben angestellt, die Mitglied im Verband der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie (vbm) sind. Damit arbeiten mehr als die Hälfte aller M+E-Beschäftigten in Bayern direkt unter den Bedingungen des Tarifvertrags. Zahlreiche weitere Menschen sind in Unternehmen beschäftigt, die sich eng am Tarif orientieren.

Somit regelt der Tarifvertrag die Bedingungen für viele Unternehmen in unterschiedlichen Größen, Branchen und wirtschaftlichen Verfassungen. Er muss allen gerecht werden – und darf keines überfordern. Sonst könnten betroffene Firmen in größeren Zahlen als bislang den Tarifverbund verlassen. Das ist weder im Interesse der Arbeitgeber noch im Sinne der Gewerkschaften.

Schädlich für eine hohe Tarifbindung sind auch tariflich fixierte Bonusleistungen für Gewerkschaftsmitglieder, die in der Diskussion stehen. Sie gefährden den Betriebsfrieden, weil sie die Spaltung einer Belegschaft etablieren und sie in eine Zweiklassenbelegschaft verwandeln. Der langjährige Grundsatz „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ wäre massiv untergraben.

Mit dieser Maßnahme würden die Tarifparteien nicht nur Unfrieden stiften und einen Keil in die Betriebe treiben, sondern langfristig auch die Akzeptanz von Tarifverträgen insgesamt schwächen.

Alle Informationen und Argumente der Arbeitgeber gibt es auch auf der Microsite unter me-tarifrunde.de

Michael Stark
aktiv-Redakteur

Michael Stark schreibt aus der Münchner aktiv-Redaktion vor allem über Betriebe und Themen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Darüber hinaus beschäftigt sich der Volkswirt immer wieder mit wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Das journalistische Handwerk lernte der gebürtige Hesse als Volontär bei der Mediengruppe Münchner Merkur/tz. An Wochenenden trifft man den Wahl-Landshuter regelmäßig im Eisstadion.

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Alix Sauer
Leiterin aktiv-Redaktion Bayern

Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.

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