Herzogenaurach/München/Ingolstadt. Brille auf, Augen auf und: „Wow!“ Die meisten Nutzer sind begeistert, wenn sie das erste Mal durch eine Datenbrille blicken. Die raffinierten Geräte für das dreidimensionale „Kino im Kopf“, für die künstlich erzeugte Wirklichkeit, haben das Zeug zum Geschenke-Renner beim diesjährigen Weihnachtsfest.
Die Technik für Virtual Reality (VR) wird immer besser – und erschwinglich. Sie reicht vom Papp-Exemplar zum Selberbasteln, das man sich für ein paar Euro im Internet bestellen kann, bis in die Profi-Welt der Industriebetriebe.
Denn VR ist längst nicht mehr nur was für Fans von Videospielen. Auch Unternehmen aus Bayerns Metall- und Elektroindustrie nutzen die Simulationen mittels Datenbrille.
Noch schneller von der Idee zum Prototyp
Voraussetzung für ruckelfreie Bilder in der virtuellen Welt ist das Beherrschen großer Datenmengen („Big Data“). Das ist ein Thema mit viel wirtschaftlichem Potenzial – der Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft, ein von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gegründetes Expertengremium, hat das jüngst in einer Studie herausgestellt (mehr dazu hier auf AKTIVonline). Es geht dabei auch um immer bessere Sensoren, Laser und Rechenprogramme.
Die Einsatzmöglichkeiten für Datenbrillen sind groß. Sie helfen Ingenieuren, Prototypen rasch zu entwickeln, und Marketingleuten, Produkte in Szene zu setzen. In der Montage blenden sie Infos zum nächsten Arbeitsschritt ein. Und in der Ausbildungswerkstatt erklären sie die Zusammenhänge. Alles nach dem Motto: „Mittendrin statt nur dabei“.
Der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler etwa bot auf der Automechanika in Frankfurt seinen Besuchern ein virtuelles Erlebnis: Diese flitzten dann, mit dem Gerät auf der Nase, wie in einem Mini-Raumschiff durch das Innenleben eines Motors. Oder sie versuchten sich in einer virtuellen Werkstatt darin, mit ein paar Handgriffen eine Doppelkupplung zu reparieren.
Im Bio-Hybrid durch eine futuristische Stadt
Der Lerneffekt ist groß: Wissenschaftler der Stanford-Universität in Kalifornien haben herausgefunden, dass wir uns an virtuelle Erfahrungen gleich gut erinnern wie an Erlebnisse in der realen Welt. Anders als den Fernseh- und Computerbildschirm nehmen wir die VR-Brille nicht mehr wahr, sobald wir sie aufgesetzt haben – und tauchen so besonders tief in die Bilderwelten ein.
Das taten bei Schaeffler übrigens vor ein paar Wochen die Besucher des Mitarbeitertags am Firmensitz in Herzogenaurach. Mittels Brille wurde dort eine Reise in die „Mobilität für morgen“ angeboten. Etwa eine Fahrt mit einem von Schaeffler konzipierten Bio-Hybrid durch eine futuristische Stadt. Und ein Flug über Offshore-Windkraftanlagen – das Unternehmen produziert dafür Wälzlager.
Wie sich die VR-Technik in der Entwicklung nutzen lässt, sieht man konkret zum Beispiel beim Automobilhersteller BMW. Im Vergleich zu aufwendig gebauten Entwürfen bedeuteten die Bilder aus dem Computer „mehr Flexibilität, schnellere Ergebnisse und geringere Kosten“, heißt es dort. Änderungen können dadurch viel leichter umgesetzt und getestet werden.
Erst wenn der virtuelle Prototyp mit der Datenbrille überprüft ist, wird er zur weiteren Erprobung gebaut. Und auch hier hilft die Virtual Reality: Ingenieure aus aller Welt können sich per Brille daran beteiligen. Und mitdiskutieren, ob etwa eine Cockpit-Anzeige aus einem bestimmten Blickwinkel des Fahrers oder aus einer bestimmten Sitzposition heraus schwer zu erkennen oder zu erreichen ist. Auf diese Weise lassen sich sogar Fahrten durch eine Großstadt simulieren. Ist die Rundum-Sicht auf den Verkehr optimal?
Kernstück der bei BMW verwendeten Brille sind zwei hochauflösende Displays – und ein lasergestütztes „Trackingsystem“, das eine Fläche von fünf mal fünf Metern abdeckt. Auf dieser Fläche kann sich der Tester bewegen. Das System misst das Feld im Abstand weniger Millisekunden immer wieder neu aus, registriert jede Körperbewegung und selbst kleinste Veränderungen der Blickrichtung. So dreht sich die künstliche Welt mit, der Betrachter kann sich störungsfrei darin bewegen.
Die Brille zeigt den nächsten Arbeitsschritt
Auch der Autohersteller Audi treibt das Thema Virtual Reality voran. Im „Audi Production Lab“ erprobt ein kleines Team derzeit gleich drei Typen von Datenbrillen – für drei verschiedene Anwendungen.
Zum einen unterstützt die VR-Technik im weltgrößten Motorenwerk von Audi, im ungarischen Győr, die Mitarbeiter bei der Montage: Motoren werden hier im Bereich der „Montage Originalteile“ nach Kundenwunsch von Hand aufgebaut. Das ist komplex, manche Regale haben bis zu 200 Fächer für Kleinteile, die sich dazu noch ähneln. Der Mitarbeiter lädt per Datenbrille den Auftrag von einem Server herunter – und lässt sich über dem rechten Auge die nötigen Montageschritte einblenden. Auch Trainingsvideos kann er abrufen. Die Infos sieht er nur, wenn er nach oben schaut – ansonsten bleibt sein Blickfeld frei.
In einem zweiten Projekt arbeitet Audi mit „Augmented Reality“: Durch eine holografische Brille sieht der Träger die echte Umgebung, kann sie aber durch virtuelle Bilder ergänzen. Entwickler treffen sich hier in einer virtuellen Werkstatt. Dort wurde etwa das Cockpit des Geländewagens Q2 simuliert, um frühzeitig mögliche Problemstellen beim Einbau verschiedener Komponenten zu identifizieren.
Und schließlich treffen sich in einem weiteren Projekt von Audi Ingenieure, um beispielsweise Schweißroboter im Karosseriebau so zu platzieren, dass ihre Greifer sich nicht ins Gehege kommen. Die Mitarbeiter können sogar Bilder und Daten zu einem Experten schicken, um so gemeinsam Störungen an einer Anlage zu beheben.
Wie funktioniert Virtual Reality?
- Die Datenbrille (Head-Mounted Display) enthält zwei Displays, die dasselbe Bild übertragen. Spezielle Linsen sorgen für den täuschend echten Eindruck beim Sehen in der Kunstwelt. Die Wirklichkeit wird ausgeblendet (Immersion).
- Szenen und Orte für VR werden mit 360-Grad-Kameras gefilmt oder entstehen am Computer.
- Mit Controllern, die man in den Händen hält, kann man mit der virtuellen Umgebung interagieren.
- Die Reaktionszeit der Technik ist entscheidend. Folgt sie den Drehungen des Kopfes nicht schnell genug, wird dem Träger der Brille schlecht (Simulationskrankheit).
Interview

„Informationen jederzeit und überall“
Die derzeitigen Virtual-Reality-Projekte von Unternehmen sind erst der Beginn eines großen Umbruchs. Davon ist Angelika Huber-Straßer, Bereichsvorstand in der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG, überzeugt.
Über Virtuelle Realität wird derzeit viel gesprochen. Kommt jetzt der Durchbruch?
Das ist absehbar. Die Technik wird sich durchsetzen. Alle großen Hersteller arbeiten an entsprechenden Systemen, sowohl bei der Hard- als auch bei der Software. Damit wird der Massenmarkt erreicht. Wer einmal so ein Gerät getestet und die Effekte live erlebt hat, teilt diese Meinung.
Wie können Unternehmen den Trend nutzen?
Das Wichtigste ist: Virtuelle Realität ist extrem emotional. Sie macht Prozesse und Abläufe „real“ erlebbar und stellt Informationen jederzeit und überall zur Verfügung. Wir sehen breite Anwendungsmöglichkeiten in allen Unternehmen. In einer aktuellen Studie haben wir 250 Beispiele untersucht.
Was zeigt die denn? Welche Möglichkeiten des Einsatzes gibt es?
Im Marketing, im Vertrieb, in der Kommunikation mit Kunden – und ganz besonders bei Forschung und Entwicklung: Und die virtuelle Welt erlaubt umfangreiche Tests, die real gar nicht möglich sind, etwa für Farben von Prototypen. Chancen gibt es auch in der Ausbildung: Ein Trainer zeigt in einer 360-Grad-Live-Umgebung, mit welchen Handgriffen er ein Bauteil austauscht. Das prägt sich ein. Und die Azubis müssen dafür nicht einmal vor Ort sein.
Wer ist Vorreiter bei VR?
Die Auto- und die Konsumgüter-Industrie sind schon recht weit. Ebenso das produzierende Gewerbe und die Immobilienbranche. Auch die Touristik setzt VR zunehmend ein.