Mannheim/Berlin. Mensch, wäre das spannend: wenn man mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit reisen könnte. Würde man sich zum Beispiel im Gasaggregate-Werk des Unternehmens Caterpillar Energy Solutions in Mannheim um ein Jahrhundert zurückbeamen lassen – so stünde man in der ersten Fabrik des Auto-Erfinders Carl Benz! Und im Jahr 1918 könnte man auch erleben, wie Arbeitgeber und -nehmer die Tarifautonomie erfinden.

In jenem Jahr nämlich wurde, unter maßgeblicher Beteiligung der Metall-Arbeitgeber, das „Stinnes-Legien-Abkommen“ unterzeichnet: benannt nach dem Industriellen Hugo Stinnes und dem Gewerkschaftsfunktionär Carl Legien. Das war die Geburtsstunde der Tarifautonomie, eine tragende Säule der Sozialen Marktwirtschaft.

Betriebe und Arbeitnehmer wollten den Staat zurückdrängen

1918 waren Politik und Wirtschaft von Krisen geprägt. Unternehmen drohte sogar die Verstaatlichung von Produktionsmitteln! Betriebe und Arbeitnehmer wollten den Staat zurückdrängen. Und Ordnung ins Wirtschafts- und Arbeitsleben bringen. Mit dem Abkommen erkannten die Unternehmer die Gewerkschaften als berufene Vertretung der Arbeiterschaft und als gleichberechtigte Tarifpartner an. Dafür bekamen sie mehr Planungssicherheit und Stabilität. Und die Chance, die Arbeitsbedingungen branchenspezifisch zu regeln.

Tarifverträge breiteten sich in der Folge rasant aus: Sie erfassten Ende 1918 erst 1,1 Millionen Beschäftigte, vier Jahre später waren es schon 14 Millionen! Heute ist die Tarifautonomie im Grundgesetz verankert und bedeutet: Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften haben das Recht, Löhne und Arbeitsbedingungen ohne den Staat zu regeln.

Die Sozialpartnerschaft ist in der Krise, weil die Löhne stärker steigen als die Produktivität

Das Prinzip gilt als Stärke des deutschen Arbeitsmarkts, hat es sich doch auch in schlechten Zeiten bewährt: So schnürten die M+E-Tarifpartner 2010 ein Krisenpaket zur Beschäftigungssicherung, mit dem die hiesige Wirtschaft viel schneller wieder auf die Beine kam als die Konkurrenz in anderen Ländern. Doch Tarifverträge werden von Arbeitgebern zunehmend kritisch gesehen, die Tarifbindung sinkt.

Das Manko: Die Tariflöhne sind in den letzten Jahren gerade in der M+E-Industrie stärker gestiegen als die Produktivität. Immer mehr Betriebe haben Probleme, sie zu schultern. Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Südwestmetall, sagt: „Die im Vergleich zu vielen anderen Branchen schwache Ertragslage trotz brummender Konjunktur gibt zunehmend Anlass zur Sorge.“ Wenn die Tarifbindung für Betriebe aber mehr Nach- als Vorteile hat, droht Tarifflucht, und damit mehr staatliche Regulierung. Für die Tarifpartner ist es aktuell also eine große Herausforderung, das Modell der Sozialpartnerschaft zukunftsfest zu machen.

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