Berlin. Gesamtmetall, der mit Abstand wichtigste industrielle Arbeitgeberverband in Deutschland, hat seit Kurzem einen neuen Präsidenten: Stefan Wolf. Im Gespräch mit aktiv nimmt er Stellung zur Tarifpolitik und zur Streitkultur, zum Standort D – und zur Heimat.

Sie haben acht Jahre lang als Vorsitzender von Südwestmetall Abschlüsse verhandelt. Wie sind Sie eigentlich zur ehrenamtlichen Tarifpolitik gekommen?

Ich habe eine Banklehre gemacht, Jura studiert und nach ein paar Jahren als Rechtsanwalt in einer Kanzlei bin ich als Autofan beim Autozulieferer ElringKlinger eingestiegen. Und als Verantwortlicher für die Bereiche Recht und Personal kam ich schnell in Berührung mit dem Arbeitgeberverband. Also dachte ich mir: Es wäre gut, sich im Verband zu engagieren. Weil man da die Tarifverträge, die ja erhebliche Auswirkungen aufs Unternehmen haben, mitgestalten kann.

Manche vermuten ja, der typische Arbeitgeber ist eher distanziert, immer nur leistungs- und vor allem gewinnorientiert … Sind Sie so?

Absolut nicht. Und jemand, der ein Unternehmen oder einen Arbeitgeberverband führt, muss das Ohr immer an der Basis und an den Mitarbeitern haben. Klar: Ein Unternehmen muss Gewinne erwirtschaften, sonst überlebt es nicht. Aber die besten Ideen dafür nützen Ihnen nichts, wenn Sie niemanden haben, der sie mit Ihnen umsetzt. 

An der Spitze eines großen Arbeitgeberverbands geht es oft um Konfrontation – auch öffentlich. Warum tun Sie sich das an?

Weil ich Diskussionen einfach unglaublich spannend finde! Schon als Kind war ich sehr diskussionsfreudig: Mein Vater war Chefredakteur einer Zeitung, oft waren Künstler und Intellektuelle bei uns, haben diskutiert. Schon mit neun, zehn Jahren habe ich mich da eingemischt, meinen Standpunkt vertreten. Und Konfrontation ist kein Selbstzweck, sondern entsteht aus der Sache – für das, wovon ich überzeugt bin, stehe ich ein.

Hätten Sie sich als Kind oder Jugendlicher vorstellen können, einmal Präsident eines wichtigen Wirtschaftsverbands zu werden?

Nein. Als Jura-Student wollte ich eigentlich Diplomat werden. Ich durfte dann auch im Rahmen meines Rechtsreferendariats in der deutschen Botschaft in Madrid Station machen – das hat mich dann aber so desillusioniert, dass ich den Plan gleich wieder aufgegeben habe …

Sie begegnen beruflich sehr vielen ganz verschiedenen Menschen. Wie viel kommt jemand wie Sie denn in der weiten Welt herum?

Zuletzt wäre ich innerhalb von vier Monaten in Japan und Korea gewesen, zweimal in China, außerdem in Indien, Kanada, zweimal in den USA, Mexiko, Brasilien und Südafrika. Das mussten wir wegen Corona alles virtuell machen. Die direkte persönliche Begegnung wird aber auch in Zukunft wichtig bleiben und stattfinden.

Welche Rolle spielt Heimat für Sie?

Wenn ich von einer weiten Reise zurückkomme und mit Leuten von hier spreche, das gibt mir unglaublich viel. Ohne Kultur und Heimatverbundenheit ist ein Land in meinen Augen arm.

Was fasziniert Sie speziell an der Metall- und Elektro-Industrie?

Die Branche ist einfach wahnsinnig spannend! Egal, ob Konzern oder Familienbetrieb, die meisten Unternehmen sind unglaublich innovativ und global aufgestellt.

"Die Diskussionen mit der IG Metall sind zwar immer hart, aber es ist wichtig, um Kompromisse zu ringen – weil wir ja auch gemeinsame Ziele haben.“ Stefan Wolf, Gesamtmetall-Präsident

Sie sind nun 59 Jahre alt, haben schon sehr viele Streitgespräche mit der IG Metall hinter sich. Ihre wichtigste Erkenntnis daraus?

Dass die Diskussionen zwar immer hart sind, oft auch heftig, weil wir naturgemäß oft gegenläufige Positionen haben. Aber es ist wichtig, um die besten Lösungen und Kompromisse zu ringen! Weil wir ja auch gemeinsame Ziele haben: Dass unser Standort wettbewerbsfähig bleibt, dass wir die Jobs hier zukunftsfest machen, dass die Menschen in unserer Industrie sicher arbeiten können.

Dieses Engagement kostet viel Zeit. Was ist für Sie der Lohn der Mühe?

Wenn Leute mir sagen: Da haben wir etwas Gutes hinbekommen, vielleicht auch gesellschaftlich Wichtiges bewegt. Ich will, dass es den Menschen gut geht.

Die Corona-Krise trifft die Metall- und Elektro-Industrie hart. Worauf kommt es nun tarifpolitisch an?

Wir müssen die Arbeitskosten senken. Nur so hat unser Land eine Zukunft im großen Stil. Und wir brauchen noch bessere tarifliche Lösungen, damit Unternehmen in schwieriger Lage einfach und schnell vom Tarifvertrag abweichen und so Jobs sichern können. Das oberste Ziel für die meisten Beschäftigten ist sicherlich nicht noch mehr Lohn, sondern den Arbeitsplatz zu behalten.

Was fordern Sie von der Politik?

Die Agenda 2010 hat uns damals wieder wettbewerbsfähig gemacht. Doch danach hat die Politik den Unternehmen immer mehr Belastungen aufgebürdet, auch mit unnötigen sozialpolitischen Wohltaten. Wir brauchen also dringend so etwas wie eine Agenda 2030.

Stabwechsel bei den Arbeitgeberverbänden

  • Dr. Rainer Dulger, geschäftsführender Gesellschafter des Heidelberger Unternehmens ProMinent, war acht Jahre lang Präsident von Gesamtmetall. Jetzt wurde er als Nachfolger von Ingo Kramer zum Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gewählt.
  • Dr. Stefan Wolf ist Dulgers Nachfolger bei Gesamtmetall. Der Jurist, geboren in Oberndorf am Neckar, arbeitete als Anwalt und fing 1997 beim Automobilzulieferer ElringKlinger in Dettingen an der Erms an. Heute ist Wolf dort Vorstandsvorsitzender. Die ElringKlinger AG ist ein weltweit führender Systempartner der Automobil­Industrie und liefert unter anderem Leichtbaulösungen, Dichtungs- und Abschirmtechnik sowie Werkzeugtechnologie. Der Konzern beschäftigt an 45 Standorten weltweit rund 10.000 Menschen, davon über 4.000 in Deutschland.
  • Neuer Südwestmetall-Vorsitzender ist Wilfried Porth, Vorstandsmitglied der Daimler AG. Er ist seit 2009 im Südwestmetall-Vorstand. Die M+E-Industrie biete mit die besten und attraktivsten Arbeitsplätze, sagt Porth: „Das wird auch trotz notwendiger Einschnitte weiterhin so bleiben. Dafür müssen wir einen realistischen und finanzierbaren Rahmen schaffen.“