Das „vergessene Archiv“ steht auf der Tresortür. Sie ist der Eingang zu einem sehr ungewöhnlichen Container von Muckenhaupt & Nusselt (M&N): zu einem Escape-Room, aus dem es unter Zeitdruck herauszukommen gilt. Dafür gibt es einen Kniff – man muss, so viel sei verraten, die richtigen Kabel finden und anschließen. Was bei einer unglaublichen Vielfalt an Farben, Materialien und Querschnitten nicht einfach ist. Aber mit etwas Hilfe schafften es bisher alle – und lernten dabei viel über die Kabelproduktion und -anwendung in verschiedenen Industriebranchen.
Eine packende Story sorgt für Spiellaune
Maik Ehmer und Robert Buge gehören zum siebenköpfigen Team des Kabel-Spezialproduzenten aus Wuppertal, das die Geschichte für den firmeneigenen Escape-Room entwickelt hat. Die Story drumherum ist packend: Es regnet seit Tagen, eine Wupper-Talsperre droht überzulaufen. Im Stadion am Zoo soll jedoch ein großes Konzert mit vielen Stars stattfinden. Eine fast vergessene Absperreinrichtung könnte die Lage retten – vorausgesetzt, die Spieler lösen mehrere Rätsel und finden ein Kabel, das die Firma vor langer Zeit speziell für diese Einrichtung hergestellt hat. Können sie es binnen einer Stunde im riesigen Firmenarchiv aufstöbern?
„Was wir fertigen, ist viel cooler, als mancher zunächst denkt“
Maik Ehmer, Leiter Fertigungsplanung bei M&N
„Uns war es wichtig zu vermitteln, dass M&N ein innovativer Familienbetrieb mit langer Tradition ist. Und natürlich, was überhaupt in so einem Werk passiert“, sagen Ehmer und Buge. Dass dazu ein spielerischer Ansatz gewählt wurde, hat einen guten Grund: Zweck des Spiels ist es, Azubis zu gewinnen.
Im Arbeitsalltag leiten die beiden die Fertigungsplanung und die Verseilerei, deren jeweilige Aufgaben sich in den Rätseln widerspiegeln. Die Fertigungsplanung muss für jeden neuen Auftrag die passende Produktionsanlage bestimmen, die die spezifischen Kunststoffe und Metalle verarbeiten kann. In der Verseilerei geht es um das Verdrillen der Stränge, um gewünschte Eigenschaften zu erzielen.
Im Konzeptteam war fast jede Abteilung der Firma vertreten
Im Konzeptteam für den Escape-Room waren auch die Konstruktion, die Instandhaltung, die Verwaltung und auch sonst fast jede Abteilung vertreten. Jeder, der Lust hatte, konnte mitwirken. „Wir haben zwei Jahre daran gearbeitet“, erzählt Teamleiter Ehmer.
Die Kabel des Wuppertaler Spezialisten entstehen ganz nach Kundenbedarf: So können darin Schläuche für Druckluft und Flüssigkeiten, Stahlseile oder Aramidfasern verbaut werden. Die Kabel leiten Strom sowie Daten in Aufzügen, Bau- und Agrarmaschinen, in Sensorik, Konferenztechnik oder Robotern. „Das alles ist viel cooler, als man vielleicht denkt“, sagen Ehmer und Buge.
Der Seniorchef macht mit – als Hologramm
Nachwuchs wird über die Webseite gesucht, auf Ausbildungsmessen, in einer Partnerschule. „Wahrscheinlich gibt es aber Leute, die wir nicht finden und die uns nicht finden. Wir sehen die Chance, mit dem Escape-Spiel mehr Jugendliche anzusprechen, die gleich den richtigen Draht zu uns haben“, hofft Ehmer.
Auf der Pirsch durch den Container öffnet sich den Teilnehmern auch eine große Tresortür. Dahinter verbirgt sich ein nachgebildetes Archiv. „Bei uns im Unternehmen gibt es wirklich einen Raum mit einigen Tausend Mustern“, sagt Ehmer.
Selbst das Büro des früheren Firmenchefs wurde liebevoll rekonstruiert – mit dessen Original-Schreibtisch, einem antiken Telefonapparat und auf alt getrimmten Papieren. Und der Seniorchef, verkörpert von seinem Enkel, dem heutigen Firmeninhaber Christian Muckenhaupt, erscheint als Hologramm – um den Spielern im entscheidenden Augenblick wichtige Hinweise zu geben.
Das Unternehmen
Muckenhaupt & Nusselt wurde vor fast 100 Jahren gegründet, nämlich 1926. Entwickelt und produziert werden hochwertige Kabel und Sonderleitungen nach Maß in kleinen Stückzahlen. M&N fertigt mit rund 110 Mitarbeitenden alles vor Ort in Wuppertal und erwirtschaftet 22 Millionen Euro Jahresumsatz.
Das Escape-Center
- Ende Mai wurde in Wuppertal das Escape-Center „Out of the Box“ auf dem Gelände der Utopiastadt eröffnet. Sechs Unternehmen aus dem Bergischen haben mithilfe der Unternehmensberatung Beck und Consorten Geschichten für die jeweiligen Escape-Rooms entwickelt. Die Hauptzielgruppe sind Schülerinnen und Schüler. Kunden, Nachbarn oder die Familien von Mitarbeitenden können ebenfalls auf spielerische Weise Einblicke in die Unternehmen erhalten.
- Die Idee für die innovative Berufsorientierung stammt von Joachim Beck. Neben dem Kabelproduzenten M&N haben der Zangenhersteller Knipex, die Stadtwerke Wuppertal, der Metallhändler Mecu, ein Krankenhaus und ein Eventveranstalter firmenspezifische Escape-Games und Infomaterialien für Lehrkräfte gestaltet. Der Branchenmix erlaubt jungen Menschen, beim Besuch vor Ort verschiedene Berufe kennenzulernen. Sie können sich dort dann direkt auch um einen Ausbildungsplatz bewerben.
Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.
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