Offenbach. Wo früher gefeilt, gefräst und gehämmert wurde, diskutierte man nun beim Unternehmertreff Hessenforum ausführlich über den Wandel der Industrie durch die zunehmende Digitalisierung: Über 200 Gäste aus der hessischen Metall- und Elektro-Industrie (M+E) kamen zu der Großveranstaltung des Arbeitgeberverbands Hessenmetall in die Alte Schlosserei auf dem Gelände der Energieversorgung Offenbach.

Empathie und Intuition

Thema des Abends war der Schlüsselmarkt künstliche Intelligenz (KI) und ihr Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der Branche. Zwölf Referenten entführten in die Welt der Bits und Bites, sprachen vom Pakt zwischen Nutzen und Privatsphäre, von der Fernsteuerung von Vakuumpumpen, der Mobilität der Zukunft, smarten Kuhställen und anderem.

„Jedes Unternehmen ist schon heute ein Software-Unternehmen“, betonte Sven Mulder von CA Technologies, einem der zehn größten Anbieter von Geschäftssoftware weltweit. Und wie Winfried Holz, Geschäftsführer des Plattform-Betreibers Atos betonte, setze Deutschland auch im Bereich Industrie 4.0 weltweit Standards. Schon jetzt würden China und andere Nationen fleißig abkupfern. Trotz des Erfolgs darf sich jedoch niemand darauf ausruhen.

„Die M+E-Industrie ist der größte Nutzer und Treiber der digitalen Transformation, also müssen wir hier die Nase vorn haben, denn es geht um Sein oder Nichtsein“, betonte der Hessenmetall-Vorsitzende Wolf Matthias Mang. Zukünftig reiche es nicht mehr aus, nur Business-to-Business-Weltmeister zu sein, also führend als Zulieferer für andere Hersteller, man müsse sich auch zum Dienstleister für den Endverbraucher entwickeln. 

Ein Beispiel präsentierte er sofort und zeigte dem Publikum einen Turnschuh, den er dafür flugs ausgezogen hatte. Mang ist Aufsichtsratsvorsitzender des Fabrikausstatters Oechsler im mittelfränkischen Ansbach. Dort baute das Unternehmen die erste Speedfactory der Welt, in der für Adidas hochautomatisiert und mit neuesten Technologien individuelle Sportschuhe produziert werden. So will man auf Modetrends und Nachfragespitzen schneller reagieren. 

Mang ist überzeugt: „Nur wenn die Industrie die gesamte Wertschöpfungskette steuert, werden wir uns gegen Internetkonzerne wie Google, Facebook oder Amazon behaupten und eine führende Industrienation bleiben.“ Auch im Zeitalter der künstlichen Intelligenz spiele der Mensch die zentrale Rolle: „Erfolg bleibt eine menschliche Domäne.“

Doch um sich behaupten zu können, muss sich auch die Arbeitswelt verändern, so Uwe Schirmer, Leiter Zentralabteilung Personalgrundsatzfragen von Robert Bosch in Stuttgart. Er zeichnete das Bild vom Arbeitsleben in drei Welten: der Start-up-Welt, der Fertigungswelt und einer Zwischenwelt. 

In der Start-up-Welt treffen sich internetbasierte, stark vernetzte Organisationen wie Google oder Amazon, die als Start-up gegründet wurden und sich diese Kultur trotz Wachstum erhalten haben. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit lösen sich dort auf, und Führungsstrukturen werden weitgehend abgeschafft. Motiviert werden die Mitarbeiter über Sinnstiftung und mehr Handlungsspielräume. 

Im totalen Gegensatz dazu steht die bisher sehr erfolgreiche Fertigungswelt der Industrie mit ihren Entscheidungshierarchien, gemessenen Outputs und maximaler Produktivität. Im Bereich der Produktion werde dies längere Zeit noch so bleiben. Dennoch müsse auch die M+E-Industrie mehr Selbstbestimmung erhalten. 

Schirmer: „Die Zwischenwelt wird es dort geben, wo mobiles Arbeiten, mehr zeitliche Selbstbestimmung und anderes möglich ist, sodass zwar immer noch die Führungskraft entscheidet, aber die Mitarbeiter viel mehr eingebunden werden.“ Dies verlange auch nach neuen tariflichen Regelungen. 

Wie man am besten gegen die Risiken der Digitalisierung angehen kann, beleuchtete die Professorin Susanne Hahn. Die renommierte Philosophin plädierte dafür, KI mehr als ausgelagerten Speicher an Kompetenz und Wissen anzusehen und zu nutzen, der in mancher Hinsicht über das Fassungsvermögen des menschlichen Gehirns hinausgeht. Einen spannenden Schlagabtausch lieferte sie sich mit Jürgen Prömel, Mathematiker und Präsident der Technischen Universität Darmstadt. 

Der Mensch sei schon jetzt der Maschine unterlegen, wenn es um das Bewältigen und Analysieren von reinen Datenmengen gehe. „Gegen den Schachcomputer hat keiner eine Chance.“ Der Mensch müsse also lernen, künstliche Intelligenz für sich zu nutzen. Prömel: „Der Zug ist im vollen Lauf, und wir können entscheiden: Sitzen wir auf der Lok und steuern, oder sind wir im Bremserhäuschen, aber das wird irgendwann abgehängt?“