Stuttgart. Früher war alles besser. Es war einfach viel mehr Zeit für Familie und Hobbys … Ach was! Der Lauf der Jahrzehnte vermag da manche Fakten durch goldene Erinnerungen ersetzen. Früher, 1950, lag die tarifliche Arbeitszeit in der Metall- und Elektro-Industrie (M+E) bei 48 Wochenstunden. Jahresurlaub: 12 bis 14 Tage.

Heute gilt die 35-Stunden-Woche bei 30 Tagen Urlaub. Ziemlich luxuriös: Anderswo wird meist länger gearbeitet. Über alle Branchen gesehen kommen die deutschen Erwerbstätigen im Schnitt auf so wenige Stunden pro Jahr wie in keinem anderen Industrieland. Das rechnet die Industriestaaten-Organisation OECD vor.

Jeder dritte Metaller will mehr arbeiten

Und innerhalb Deutschlands ist die Arbeitszeit in der M+E-Branche, die mehr als die Hälfte aller Industrie-Arbeitsplätze stellt, besonders niedrig. Im Baugewerbe beispielsweise oder bei den Malern und Lackierern sind 40 Stunden angesagt, in der Floristik, bei den Gebäudereinigern oder Dachdeckern und im Bankgewerbe sowie in der Systemgastronomie 39, im Versicherungsgewerbe 38 Wochenstunden.

Was man dabei im Auge haben muss: Arbeitszeit ist auch ein Wettbewerbsfaktor. Ein Mitarbeiter etwa in Mexiko kostet Unternehmen ohnehin viel weniger Monatslohn als einer bei uns. Und der in Mexiko leistet auch noch viel mehr Stunden.

Was außerdem nachdenklich macht: Die 35-Stunden-Woche ist nicht für alle M+E-Beschäftigten ideal. Viele wünschen sich mehr Arbeitszeit. 35 Prozent möchten länger als 39 Stunden arbeiten: Das hatte eine Emnid-Umfrage des Arbeitgeber-Dachverbands Gesamtmetall im Herbst ergeben.

Die Reduzierung der Arbeitszeit war 1984 maßgeblich erreicht worden durch einen Kompromiss der Tarifparteien: Die Arbeitszeit sank zunächst auf 38,5 Wochenstunden im Betriebsdurchschnitt. Dafür bekamen Unternehmen die Freiheit, die Arbeitszeit individuell zu verteilen. Einige konnten also mehr, andere weniger arbeiten. Im Laufe der folgenden Tarifrunden wurde die Arbeitszeit weiter reduziert, seit 1995 gilt die 35-Stunden-Woche. Für 13 Prozent der tariflichen Mitarbeiter können höhere Arbeitszeiten vereinbart werden.

Der Arbeitsmarkt war damals freilich in einer ganz anderen Situation als heute: Es gab ein Überangebot an Fachkräften. Der Südwestmetall-Vorsitzende Stefan Wolf verdeutlicht: „Heute haben wir, anders als in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, nicht mehr zu wenig Arbeit für die vorhandenen Menschen – wir werden in Zukunft immer weniger Menschen für die anfallende Arbeit haben.“ So mancher Unternehmer würde sich daher längere Arbeitszeiten wünschen.

Wobei die Arbeitgeber an der 35-Stunden-Woche nicht grundsätzlich rütteln wollen. Wichtiger sei den Betrieben mehr Flexibilität, sagt Rainer Dulger, Präsident von Gesamtmetall: Eine deutliche Mehrheit fordere daher eine Modernisierung des deutschen Arbeitszeitrechts. Ziel: Die Arbeitszeit soll noch flexibler verteilt werden können. Sie solle etwa nicht mehr tag-, sondern wochenbezogen betrachtet werden (wie es eine EU-Richtlinie vorsieht).

Das fordern auch andere Branchen, etwa der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband. Die Lage der Betriebe sei geprägt von „starken Nachfrageschwankungen“, sagt dessen Präsident Guido Zöllick.

Damit die M+E-Betriebe mit ihren „weltweit kürzesten tariflichen Arbeitszeiten“ auch künftig im Wettbewerb bestehen können, fordert Dulger: „Wie auch immer eine neue Balance aussieht – sie darf Arbeit bei uns nicht noch teurer machen.“

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