Witten. Es gibt Geräusche, so laut und mächtig, gegen die muss sich selbst der Urknall angehört haben wie ein leiser Furz. Die Uhr des Schmelzofen-Leitstands im Stahlwerk Witten schlägt zwölf, als das Inferno losbricht. Eben noch lag der riesige Lichtbogenofen im schummrigen Dunkel der Halle. Darin: 130 Tonnen Stahlschrott.
Dann aber hat irgendjemand auf den Knopf gedrückt. Zündung! Und jetzt: Es knallt und donnert, die Halle bebt, als über 100 Millionen Watt durch die drei mächtigen Graphit-Elektroden fließen. Funken fliegen, meterweit, grellgelbe Kaskaden aus Feuer schlagen zur Decke.
Video: Stahlproduktion im Lichtbogenofen
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Wie Siegfrieds Kampf mit dem Feuerdrachen
Doch bis ein Chirurg in irgendeinem OP-Saal auf der Welt zum Skalpell aus Wittener Stahl greift, ist es ein langer Weg. Und der beginnt beim Schrott. Schon im Morgengrauen kommen die ersten Lastwagen mit Stahlschrott, 150 sind es an einem durchschnittlichen Tag, dazu kommen etliche Zugladungen. Macht 500.000 Tonnen pro Jahr, aus denen die Wittener dann ihre hochwertigen Spezialstähle schmieden. „Das Schrott-Gewicht entspricht dem von 50 Eiffeltürmen“, kommentiert Obermeister Teeke nüchtern, die nächste Marlboro im Anschlag.
Dafür, dass aus Altmetall hochlegierter Stahl wird, sorgen Männer wie Ahmet Albayrak. Der Anlagenfahrer steht im düsteren Leitstand des Lichtbogenofens und kontrolliert die Messwerte der Rohstahlprobe, die er gerade aus dem Bauch des brodelnden Kolosses gezogen hat. Albayrak ist unzufrieden, die Probe weist zu viel Kohlenstoff auf. „Ich muss raus, anblasen.“
Er greift zum Schutzanzug samt Helm mit Visier, stürmt hinaus. Dann steht er vor der Ofentür, mit einer Lanze bläst er Sauerstoff ins Höllenloch. Wieder schlagen die Flammen hoch, es wirkt, als kämpfe Siegfried mit dem Drachen.
„Ganz ehrlich, ich hab mich an diesen Job auch erst gewöhnen müssen“, sagt er, wieder zurück im sicheren Leitstand, das schwarze Haar schweißverklebt. Die Hitze, dieser Höllenofen, der Krach. Doch nach einer Weile habe seine Neugier über die Angst obsiegt. „Du hast hier jeden Tag eine Herausforderung, jede Schmelze ist anders“, sagt er. Einmal gepennt, die Legierung verbockt, schon habe man statt Edelstahl „nur noch Schrott in der Pfanne. Und das geht ja nicht.“
Inder und Chinesen produzieren billiger
Stahlwerk-Chef Thomas Pieper würde dem wohl zustimmen. Denn wenn es eines gibt, was sie sich nicht leisten können in Witten, dann sind das: Fehler! „Unser Geschäft hier ist Klasse statt Masse“, hat er vorhin, schon halb auf dem Gang, noch gerufen.
Mit Indern oder Chinesen, die einfache Baustähle in Riesenmengen produzierten, könne man preislich nicht konkurrieren. Wegen der höheren Löhne, der teureren Energie am Standort Deutschland. „Also besetzen wir die Nische, produzieren Stähle, die die noch nicht draufhaben!“ Damit sie noch lange weitergeht: die „coole Show“ mit dem heißen Metall.