Stuttgart. Feinstaubalarm! Auf großen Schildern leuchtet es Autofahrern entgegen, kurz bevor sie die Landeshauptstadt erreichen. Den Alarm löst die Stadt immer dann aus, wenn der Deutsche Wetterdienst für mindestens zwei aufeinanderfolgende Tage einen stark eingeschränkten Luftaustausch voraussagt. Davon spricht man, wenn Staubpartikel, die sich unten im Talkessel bilden, nicht nach oben entweichen. Solche Szenarien sind in den Monaten Oktober bis April möglich.

Wegen seiner Kessellage gehört Stuttgart zu den Städten, in denen die EU-weit festgelegten Grenzwerte häufiger als zulässig überschritten werden. An maximal 35 Tagen im Jahr darf die Konzentration dieser winzigen Staubpartikel höher sein als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.

Autoabgase tragen 6 Prozent zum Feinstaub bei

Was bei der Debatte darüber oft vergessen wird: Die Schadstoffbelastung geht in Stuttgart wie generell in Deutschland seit Jahren erheblich zurück. Das gab der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann Anfang Januar bekannt.

„Die Luft ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden“, so schreibt Hermann in einer Pressemitteilung. Die Zahl der Tage mit Überschreitung des Feinstaubgrenzwerts ging von 63 Tagen 2016 auf noch 45 Tage im vergangenen Jahr zurück. Zum Feinstaub tragen laut Verkehrsministerium Autoabgase nur zu 6 Prozent bei. Wer es sich gerne abends am Kaminfeuer gemütlich macht, belastet das Klima mindestens genauso stark.

Mit neuen Ideen unterstützen baden-württembergische Unternehmen das erklärte Ziel, die Schadstoffe in unserer Luft noch weiter zu senken. AKTIV stellt vier davon vor.

Die „Feinstaubfresser“ von Mann+Hummel

Testfahrzeug mit drei Filtern: Der meiste Feinstaub kommt nicht etwa aus dem Auspuff, sondern entsteht durch den Abrieb von Reifen und das Aufwirbeln von Straßenstaub. Das macht rund ein Drittel der lokalen Belastung aus. Der Filterspezialist Mann+Hummel aus Ludwigsburg bei Stuttgart rückt dem gleich dreifach zu Leibe. Testfahrzeuge mit dem Namen „Feinstaubfresser“ sind mit einem Bremsstaubfilter ausgestattet, der die beim Bremsen entstehenden Feinstaubpartikel erheblich reduziert. Das Gehäuse wird ganz nah am Bremssattel eingebaut und saugt den Staub dort ab, wo er entsteht.

Die Fahrzeuge tragen außerdem auf ihrem Dach ein System, bei dem Ventilatoren die Luft aus der Umgebung dem Filter zuführen. Damit filtert sogar das stehende Auto Feinstaub aus der Umgebungsluft. Fahrer und Beifahrer werden zudem mit einem Innenraumluftfilter vor schlechter Luft geschützt.

Mehrere Testfahrzeuge sind derzeit im Raum Stuttgart unterwegs, ausgestattet mit Sensoren, um die Effizienz dieser Innovationen zu überprüfen. Mann+Hummel-Chef Alfred Weber meint dazu, der Gesetzgeber sollte sich darauf beschränken, Grenzwerte vorzugeben und deren Einhaltung zu überprüfen. Lösungen zu entwickeln, solle man besser Wissenschaft und Industrie überlassen: „Wer beim Wie Vorschriften macht, beschneidet die Kreativität der Entwickler.“

Neue Bremsscheiben von Bosch

90 Prozent weniger Bremsstaub mit der I-Disc: Mit einer neuen Bremsscheibe wirbelt der Industriekonzern Bosch den Bremsscheibenmarkt auf. Die herkömmliche Scheibe, die der Bosch-Konzern bei seiner Tochter Buderus millionenfach herstellt, wurde dazu nach einem jahrelang entwickelten Verfahren behandelt und beschichtet. Diese neue Hartmetall-Beschichtung senkt den Bremsstaub um satte 90 Prozent.

Bosch glaubt an eine große Zukunft der I-Disc. Schließlich wurden 2016 allein in Pkws 330 Millionen Bremsscheiben eingebaut. Seit November 2017 wird das neue Produkt in Serie gefertigt. Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel: „Bosch arbeitet für die Luftreinhaltung nicht nur unter der Motorhaube.“ Die neue Scheibe ist außerdem auch sicherer bei wiederholten Bremsmanövern – und sie hält doppelt so lange wie normale Scheiben.

Otto-Partikelfilter von Eberspächer

Jetzt auch für Benziner: Genau wie beim Diesel entstehen auch bei der Verbrennung im Ottomotor Rußpartikel – wenn auch deutlich weniger. Doch was wir beim Diesel bereits kennnen, ist bei Benzin-Pkws noch neu: der Partikelfilter. Der wird jetzt notwendig, denn seit September 2017 gilt eine neue Stufe der Abgasnorm Euro 6. Um diese einzuhalten, benötigen Direkteinspritzer ebenfalls einen Partikelfilter.

Der Abgasspezialist Eberspächer in Esslingen bei Stuttgart startete im vergangenen Jahr bereits mit der Serienproduktion solcher Filter für den Ottomotor und beliefert damit mehrere deutsche und europäische Autobauer.„Als Vorreiter in der Abgastechnologie tragen wir mit unseren Innovationen und Technologien zu einer umweltverträglichen Mobilität von morgen bei. Mit dem Otto-Partikelfilter reduzieren wir Abgasemissionen deutlich und verbessern dadurch die Luftqualität“, sagt Thomas Waldhier, Geschäftsführer des Bereichs Abgastechnologie.

Die Esslinger Spezialisten entwickelten die Abgasanlage auf der Basis der bewährten Technologie des Dieselpartikelfilters. Dabei kommt eine besonders hitzebeständige und poröse Keramik zum Einsatz. Die Rußpartikel lagern sich an dieser porösen Oberfläche ab und verringern so den Ausstoß. Durch die hohen Temperaturen werden die Rußpartikel auf dem Filter stetig verbrannt. Zudem senkt der Filter auch die Abgasgeräusche.

Elektrischer Busantrieb von Ziehl-Abegg

Ein elektrischer Radnabenantrieb für Stadtbusse: Das beeindruckt den baden-württembergischen Verkehrsminister Winfried Hermann (Foto, rechts), der sich hier von Ralf Arnold, Geschäftsführer der Sparte Automotive von Ziehl-Abegg, diese Erfindung des Unternehmens aus Künzelsau zeigen lässt. Ziehl-Abegg bringt über 100 Jahre Erfahrung im Bau von Elektromotoren mit.

Der Clou dieser Innovation: Die zwei Motoren sitzen jeweils direkt in der Radnabe. Dadurch ist kein Getriebe nötig. Das spart rund die Hälfte Energie gegenüber einem Verbrennungsmotor. Und der Motor produziert keine Abgase, also auch keinen Feinstaub. Bei der neuen Version des „ZAwheel“ hat Ziehl-Abegg noch mal nachgelegt. Den Antrieb gibt es jetzt auch für Zwillingsreifen. Außerdem wird das Modul seit kurzem in zwei Leistungsstufen angeboten, für „Wie der Deckel auf dem Topf“

Interview: Klima im Neckartal verhindert Luftaustausch

Freiburg. Überall, wo viele Menschen leben, entsteht Feinstaub. Doch besonders in Stuttgart steigen die Werte im Winter stark an. AKTIV sprach darüber mit dem Chemiker Stefan Gilge vom Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes in Freiburg.

Warum haben wir bei strahlendem Winterwetter in Stuttgart Feinstaubalarm?

Bei klarem Wetter kühlt es nachts stark ab. In der bodennahen Kaltluft, in der wir uns bewegen, sind auch die Quellen für Staubpartikel. Da diese kalte Luft schwerer ist als die warme darüber, wird der Austausch blockiert. Das ist wie ein Deckel auf einem Topf.

Ist das also ein typisches Stuttgarter Problem?

Die Kessellage der Stadt und die geringen Windgeschwindigkeiten im Neckartal begünstigen die Ansammlung dieser feinen Partikel in der Luft, die wir Feinstaub nennen.

Gibt es auch in anderen Städten zu viel Feinstaub?

Natürlich haben wir in allen großen Städten viele Feinstaubquellen, besonders im Winter. Das sind neben Industrie und Verkehr vorrangig Heizungen, etwa Kaminöfen. Überall dort, wo viele Menschen auf engem Raum leben, wird viel Feinstaub emittiert.

Ist Feinstaub immer da?

Ja, es gibt überall feine Partikel in der Luft. Doch nicht jeder Feinstaub ist gesundheitsschädlich. So weht etwa einmal im Monat der Sahara-Staub zu uns nach Deutschland. An solchen natürlichen Feinstaub hat sich der menschliche Körper längst gewöhnt. Bei einer herkömmlichen Messung kann man nicht zwischen natürlichem und von Menschen gemachtem Feinstaub unterscheiden

Was kann man gegen schädlichen Feinstaub tun?

Die Menschen beschweren sich schnell, der Gesetzgeber oder die Auto-Industrie sollten etwas unternehmen. Dabei kann jeder selbst etwas tun, etwa das Auto wann immer möglich stehen lassen oder den alten Heizkessel austauschen.