Backnang. Waschen, schneiden, legen – normalerweise eine Sache von 20 Minuten.
In der Haarfabrik Kerling braucht man dafür länger. Hier entsteht alles, was den Kopf schöner macht: handgefertigte Perücken, Haarverlängerungen und Toupets. Und das alles aus echtem Haar.
Das Unternehmen in Backnang bei Stuttgart ist einer der größten Hersteller von Zweithaarprodukten europaweit. 1960 gegründet und mittlerweile in japanischer Hand, produziert es mit 100 Mitarbeitern in der schwäbischen Provinz.
Dauerwelle und Rasta-Locken
Geraldine Wiesenmaier knüpft Haare auf ein Baumwollband, eine Tresse. „Die Herstellung einer kompletten Perücke dauert im Schnitt vier Wochen“, sagt sie. Dabei seien auch Verarbeitungsstufen wie Waschen, Färben und Bleichen, die zum Teil maschinell erfolgen, sehr zeitaufwendig.
Zwischen 100.000 und 120.000 Haare stecken in so einer Kopfbedeckung.
Und sie haben einen weiten Weg hinter sich: Robert Meißner, der Geschäftsführer, geht regelmäßig im In- und Ausland auf Shopping-Tour. Bei den Haar-Großhändlern vor Ort prüft er jeden Zopf einzeln.
Meistens macht er das in Spanien. „Da gibt’s das beste Rohmaterial“, sagt Meißner. „Die Haare müssen unbehandelt und mindestens 25 Zentimeter lang sein.“ Natürlich kauft er nur Haare, die die Leute beim Friseur gelassen haben. Insgesamt importiert Deutschland, laut Statistischem Bundesamt, jährlich sechs Tonnen Haare im Wert von 1 Million Euro.
In Backnang werden die Zöpfe gewaschen, gefärbt, gemischt für entsprechende Farbtöne, genäht und verknüpft. Alles individuell nach Wunsch des Kunden, der den Haarersatz meist über seinen Friseur bestellt. Die Dauerwelle gehört genauso zum Programm wie die Rasta-Locken.
Kerling exportiert weltweit – und der Geschäftsführer kennt die Ansprüche der Kunden. „Die Russen bestellen nur Damen-Perücken und diese so blond, wie es geht. Und Japan ist ein besonders guter Absatzmarkt – ein behaarter Kopf entspricht dem japanischen Schönheitsideal.“
Immer mehr ältere Frauen sind Kunden
Die Deutschen wollen am häufigsten Haarverdichtungen für mehr Volumen. „Die Nachfrage steigt“, berichtet Peter Volk, Vorsitzender des Bundesverbands der Zweithaarspezialisten. Nicht nur aus Modebewusstsein, auch infolge einer Krankheit griffen viele Menschen auf Zweithaar zurück. „Und immer mehr ältere Frauen.“
Der Umsatz der kleinen Branche wird statistisch nicht gesondert erfasst; Verbandschef Volk schätzt ihn auf „150 bis 200 Millionen Euro im Jahr“. Eine gute Perücke kostet 1.000 bis 3.000 Euro.
Übrigens: Kerling hat Filmproduktionen wie „Herr der Ringe“ und „Harry Potter“ ausgestattet. Auch die ersten Perücken des Musicals „Cats“ kamen aus Backnang.