Karlsruhe/Berlin. Kaputte Weichen, Signalstörung, Stellwerkausfall – das kennt man ja. Dieses Ereignis aber toppt alles: Unter der Rheintalstrecke nahe Rastatt dringen am 12. August bei Bauarbeiten für einen neuen Bahntunnel Wasser und Erdreich ein, die Schienen sacken ab – Vollsperrung. Normalerweise rauschen täglich 370 Züge über Deutschlands wichtigste Nord-Süd-Verbindung, darunter bis zu 200 Güterzüge. Nun herrscht Ruhe. Und Umleitungs-Chaos im Südwesten.

Das überrascht Uwe Höft nicht. „Jetzt rächt sich, dass die Bahn in den letzten Jahrzehnten zu wenig in Ausweichstrecken investiert hat“, sagt der Professor und Bahnexperte an der Technischen Hochschule Brandenburg: „Vielerorts wurden Kreuzungs- und Überholgleise herausgerissen, was die Streckenkapazität herabsetzt.“ Folge: Die Reservetrassen, zum Teil einspurig und ohne Oberleitung, können zusätzlichen Verkehr kaum verkraften.

Wenn eine Hauptstrecke ausfällt, hat das enorme Auswirkungen. Im Fall des Tunneldesasters erreicht der Schaden eine dreistellige Millionensumme. Allein die Güterbahnbetreiber dürften bis zur geplanten Wiedereröffnung Anfang Oktober über 100 Millionen Euro verlieren – weil sie Transporte an Lkws und Schiffe verlieren und die Kosten durch die Umleitungen steigen.

Für die Industrie bringt so eine Sperrung ebenso gravierende Probleme mit sich. Bei der Rheintalstrecke als international bedeutender Magistrale zeige sich, „wie wichtig funktionstüchtige Verkehrswege für die europäischen Unternehmen sind“, sagt Dirk Binding, Infrastruktur-Experte beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Berlin.

Besonders betroffen sind jetzt die Chemiefirmen entlang der Rheinschiene. Sie können nur die Hälfte ihrer Transporte über Umleitungsstrecken abwickeln und müssen zusätzlich Schiffe und Lkws organisieren. „Die Kosten erhöhen sich erheblich“, heißt es beim Branchenverband VCI. Er appelliert an die Bahn, „die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern zu stärken, um in Krisensituationen besser gewappnet zu sein“.

Dringenden Handlungsbedarf sieht auch Experte Höft. Die Bahnen in Europa seien noch immer nicht kompatibel. So haben die Züge in Frankreich ein anderes Sicherungs- und Stromsystem. „Einfach mal rüberfahren, geht nicht – da muss man schon die Lok wechseln.“ Die Europäische Union sei bahntechnisch immer noch „ein Flickenteppich“.

Immerhin investiert die Deutsche Bahn jetzt kräftig – und löst so ein Stück weit den Sanierungsstau der letzten Jahre auf. Das seit zwei Jahren laufende Modernisierungsprogramm summiert sich bis 2019 auf 28 Milliarden Euro.

Höft hofft, dass die Bahn dabei die richtigen Schwerpunkte setzt: „Das gesamte Netz muss leistungsfähiger werden – und die Elektrifizierungslücken auf wichtigen Strecken müssen endlich geschlossen werden.“ So haben in Deutschland nur 60 Prozent der Trassen eine Oberleitung. In der Schweiz hingegen sind alle elektrifiziert.