Mühlacker/Stuttgart. So einen Aufstieg hätte er sich damals nicht vorstellen können. Als Sascha Ott die Realschule mit einem „mittelmäßigen Abschluss“ verließ, dachte er nicht daran, mit erst 26 Jahren Chef von 50 Mitarbeitern zu sein. Heute, in einem Alter, wo andere gerade mal ihren Hochschulabschluss in der Tasche haben, weiß er ganz genau, wo es langgeht.

Hier beim Automobilzulieferer Mahle in Mühlacker steuert er die Produktion von Flachrohren, die in Abgaswärmetauschern von Lkw-Motoren zum Einsatz kommen.

„Diese Bauteile werden plastisch verformt, gefalzt und geschweißt. Für alle Prozesse bin ich verantwortlich“, erklärt der junge Mann. Das Rohmaterial wird in Bändern angeliefert und an der Fertigungslinie gepresst, geformt und mit einem Laser geschweißt, alles geht automatisch. Ott teilt die Schichten ein, unterstützt seine Mitarbeiter bei Problemen, genehmigt Urlaub und ist in allen fachlichen Fragen der erste Ansprechpartner.

Martin Thum ist Ausbildungsleiter für die 26 deutschen Mahle-Standorte mit rund 13.000 Beschäftigten. Er ist stolz auf Ott: „Ein Azubi, der Karriere gemacht hat“, so stellt er ihn vor. Gut ausgebildete Facharbeiter sind für die Metall- und Elektro-Industrie unverzichtbar.

Das gilt gerade jetzt, wo die Betriebe durch die Digitalisierung und die Elektromobilitätävor großen Herausforderungen stehen. Mahle, einer der größten Zulieferer für den Pkw- und Nutzfahrzeugbau mit Stammsitz in Stuttgart und weltweit 77.000 Mitarbeitern, ist mittendrin im Wandel. Das Geschäft mit Kolben für Verbrennungsmotoren, mit denen der Konzern einst groß wurde, macht heute nur noch ein Zehntel vom Jahresumsatz von 12,3 Milliarden Euro (2016) aus.

Personalkosten liegen bei 30 bis 40 Prozent

Inzwischen setzt der Konzern stärker auf Produkte, die auch in elektrisch betriebenen Fahrzeugen benötigt werden, wie Produkte für das Thermomanagement und elektrische Antriebssysteme. Dazu kommt die wachsende Digitalisierung in der Fertigung. Beides stellt neue Anforderungen an die Fachkräfteä

„In unseren Werken macht jeder fünfte Facharbeiter eine Weiterbildung zum Meister oder Techniker, und das ist auch so gewollt“, erklärt Thum. IT-Kenntnisse würden dabei immer wichtiger. Eine Herausforderung für den Konzern: „Der Personalkostenanteil liegt bei Automobilzulieferern zwischen 30 und 40 Prozent“, sagt Thum.

Und: „Käpsele“ wie Sascha Ott sind gefragt, sie verdienen gutes Geld. Meister und Techniker in vergleichbaren Positionen können in die Entgeltgruppe 14 eingestuft werden, die dritthöchste im ERA-Tarifvertrag. Das sind 4.862,50 Euro Grundentgelt, es wird 13,24 Mal im Jahr gezahlt. Dazu kommt das Leistungsentgelt, das in der Regel 15 Prozent des Grundgehalts ausmacht.

Gute Chancen also für Realschüler, wie Ott einst einer war. Er startete bei Mahle mit einer Ausbildung zum Industriemechaniker und arbeitete sich schnell vom Produktionsmitarbeiter zum Maschineneinsteller hoch. An der Abendschule paukte er für den Meister-Abschluss. „Das waren drei harte Jahre“, sagt er, „aber es hat sich gelohnt.“

Die üblichen Schichtzulagen gibt es für einen Meister wie ihn allerdings nicht mehr. Denn: „Ich bin raus aus der Schicht, und das war auch mein Ziel.“ Im Werk Mühlacker wird im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet. Es ist mit 1.250 Mitarbeitern der größte Produktionsstandort von Mahle in Deutschland. Qualifizierte Fachkräfte fertigen Kühl- und Klimasysteme: Produkte, die auch in Zukunft für Mahle eine hohe Bedeutung haben.

„Mühlacker ist ein besonders leistungsstarker und innovativer Standort“, erklärt Thum. Für viele hier sind die Schichtzulagen attraktiv.

Zum Beispiel für die 21-jährige Jessica Zirkwitz, die gerade ihre Ausbildung als Elektronikerin für Betriebstechnik abgeschlossen hat. Es gehe ihr nicht nur um die Zulagen, so betont sie: „Es ist mir auch wichtig, in der Schicht Erfahrungen zu sammeln.“

An ihrem künftigen Arbeitsplatz wird sie Prototypen bauen. Als junge Facharbeiterin hat sie die Chance auf eine Einstufung in Entgeltgruppe 7, das sind nach aktuellem Tarif 3.107 Euro. Mit Leistungsentgelt und Schichtzulagen käme sie auf ein für eine junge Frau beachtliches Gehalt. Zum Vergleich: Eine ausgebildete Friseurin verdient im Durchschnitt nur 1.633 Euro monatlich und eine Altenpflegerin 2293 Euro.

Ausbildung hat für die baden-württembergische Metall- und Elektro-Industrie eine hohe Bedeutung, wie die Zahlen zeigen: Rund 47.000 junge Menschen lernen hier aktuell einen Metall- und Elektroberuf (M+E) – und die Ausbildungszahlen steigen. Jährlich geben die Unternehmen eine halbe Milliarde Euro für Ausbildungsvergütung aus.

Bei Mahle machen derzeit etwa 50 junge Menschen eine klassische duale Ausbildung. Automatisierung und Robotik gehören von Anfang an dazu. Die Azubis dürfen eigene Projekte entwickeln, wie die automatische Steuerung eines Lötofens, für den die jungen Menschen dann auch gleich einen Erklärfilm drehten. „Eigenständiges Arbeiten ist für die heutigen Azubis sehr wichtig“, erklärt Thum.

Dennoch: „Gerade am Anfang des Berufslebens ist die Schichtzulage für viele eine Motivation“, sagt Thum. Er hat selbst vor seinem Studium als Mechaniker in der Schicht gearbeitet. Doch der Trend gehe eindeutig in eine andere Richtung: „Junge Facharbeiter wollen heute mehr Flexibilität.“ Die Digitalisierung biete hier gute Chancen, erklärt der Manager: „Wir brauchen heute mehr höherwertige Qualifikationen.“

Auch bei Mahle kostet es viel Anstrengung, im Wettbewerb ganz vorne mitzuspielen. Thum macht das deutlich: „Die Kosten für Personal, Energie und Material steigen jedes Jahr um 2 bis 4 Prozent. Das können wir nur auffangen, indem unsere Produkte und Abläufe immer besser werden.“

Sascha Ott will dazu beitragen: Sein nebenberufliches Studium zum technischen Betriebswirt hat er vor kurzem abgeschlossen.

In Baden-Württemberg gibt es mehr Industrie als in jedem anderen Bundesland. Das macht die Stärke des Landes aus, bedeutet jedoch auch eine große Herausforderung. aktiv zeigt in diesem Themenspecial, was Betriebe stemmen müssen. Hier geht’s zur Einführung.

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