Berge von Alttextilien: Um darin zu wühlen, ist sich Professor Markus Muschkiet nicht zu schade. „Viele sehen darin Müll – tatsächlich sind das kostbare textile Rohstoffe“, sagt der Leiter des Center Textillogistik (CTL) beim aktiv -Besuch an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach.

Textilien gehören jetzt nicht mehr in den Müll

Zu Muschkiets Team gehören auch Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund. Gemeinsam arbeiten sie daran, Systeme für die nachhaltige Textillogistik zu entwickeln. Sie sollen den Einstieg in die textile Kreislaufwirtschaft erleichtern. Nach der europäischen Ökodesign-Verordnung und der EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien soll es 2030 keinen textilen Abfall mehr geben, der nicht recyclingfähig ist. Die Textilerzeugnisse sollen langlebig sein und Recyclingfasern enthalten. Das heißt auch: besser haltbar und leichter zu reparieren sein. 

„Heute schon wirkt sich das auf Verbraucher und Unternehmen aus“, sagt Muschkiet. Erstere dürfen jetzt keine Textilien mehr in den Hausmüll werfen. Und Mode-Unternehmen müssen schon beim Design überlegen, wie ihre Kollektionen beschaffen sein sollen, damit sie erst weiter- oder wiederverwendet und dann recycelt werden können. „Weiterverwendung ist ein wichtiges Stichwort“, sagt Textilingenieurin Sabrina Mauter. „Darauf legen wir den Fokus. Erst danach kommt das Recycling.“

Wir legen den Fokus auf die Wiederverwendung 

Sabrina Mauter, Textilingenieurin am CTL

Tatsächlich gibt es für diesen Ansatz ein seit Jahren bewährtes System: die Alttextilsammlung über die Containererfassung oder Wertstoffhöfe. Dabei werden jährlich 1,3 Millionen Tonnen gebrauchter Textilien gesammelt, so Zahlen des Fachverbands Textilrecycling.

Noch Luft nach oben bei der Weiterverwendung

„Große Teile dieses textilen Wertstoffstroms sind qualitativ so gut, dass sie weitergetragen, also weiterverwendet werden können“, sagt Mauter. Immerhin 62 Prozent der Alttextilien kommen laut dem Fachverband wieder zum ursprünglichen Einsatz, etwa in Secondhand-Läden innerhalb und außerhalb der EU oder bei karikativen Einrichtungen.

Ein weiterer Teil – gut ein Viertel des Sammelaufkommens – wird recycelt und dient etwa als Putzlappen oder Malervlies. Ein kleiner Rest kommt in die Verbrennung.

Was die Weiter- und Wiederverwendung angeht, ist also noch Luft nach oben. Für die Forscher ist sie die nachhaltigste Möglichkeit, um Textilien im Kreislauf zu halten. CTL-Chef Muschkiet: „Deshalb ist eine funktionierende Sammel- und Sortierbranche so wichtig. Darüber können die Anteile der Verwendung erhöht und eine Basis für das hochwertige Textilrecycling geschaffen werden. „

Um das zu schaffen, haben die Mönchengladbacher zuletzt 7.000 Alttextilprodukte nach bestimmten Kriterien sortiert. Außerdem ist in Zusammenarbeit mit der Stadtreinigung Hamburg ein Einkaufs- und Entsorgungs-Guide für Textilien entstanden. Er enthält Tipps für die Reparatur, klärt über Textilsiegel auf und informiert über Aufbereitung und Entsorgung. „Wichtig ist, dass die Kleidung in Tüten verpackt und trocken ist“, sagt Muschkiet. Auch Pullover oder Hosen mit Löchern, Rissen oder Flecken gehören jetzt in den Container Ausnahme: ölverschmutzte Produkte. 

Beim Recycling haben wir die gesamte textile Kette im Auge

Professor Markus Muschkiet, Leiter des CTL

Und was ist mit dem zweiten Standbein der Kreislaufwirtschaft: dem Recycling? Bisher gingen daraus meist Fasern hervor, mit denen Putzlappen oder Dämmstoffe gefertigt wurden. Das soll sich ändern.

Das Center forscht an Verfahren zum Faser-Recycling

Am CTL forscht man am Faser-zu-Faser-Recycling. „Es ist die Basis dafür, Fasern in bestmöglicher Qualität zurückzugewinnen, mit denen man erneut hochwertige Textilprodukte fertigen kann“, so Muschkiet. Versuche dazu laufen im Technikum und bei Industriepartnern. Dabei werden durch mechanische Recyclingprozesse aus Alttextilien Recyclingfasern gewonnen, die wieder für die Fertigung eines Mischfasergarns genutzt werden.

Außerdem prüfen die Forscher die Materialzusammensetzung von Wäschereitextilien, Outdoorkleidung oder Feuer-Schutzkleidung. „Wir haben die gesamte textile Kette im Auge“, sagt Muschkiet. Den Forschern ist klar: Das Recycling muss künftig schon bei Design, Materialauswahl und Herstellung mitgedacht werden. Nur so gelingt der Schritt in die textile Kreislaufwirtschaft.

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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