Die Abgeordneten im Europäischen Parlament regeln viele Dinge, die unseren Alltag betreffen. Warum die Europawahl 2019 auch sonst ganz wichtig ist, beantwortet die Politologin Carolin Rüger. Sie ist Projektkoordinatorin von „mainEUropa“ am Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europaforschung der Uni Würzburg und Mitglied im „Team Europe“ der Europäischen Kommission.
Europa und Brüssel sind gefühlt ja weit weg. Was bewirke ich mit meiner Stimme überhaupt?
Ziemlich viel. Das Europäische Parlament ist das einzige direkt gewählte Organ der Europäischen Union, die Volksvertretung für alle Bürgerinnen und Bürger. Wer nicht wählt, gibt seinen Einfluss auf die Politik ab, die hier gemacht wird.
Der zweite wichtige Punkt ist: Wenn mehr Menschen zur Wahl gehen, fallen die Stimmen für die extremen Lager wie beispielsweise die Euro-Skeptiker weniger ins Gewicht.
Die Stimmen gegen Europa sind in der letzten Zeit allerdings besonders laut.
Ja, leider lauter als die der Befürworter der EU. Daher geht es in dieser Wahl um sehr viel: Verfallen wir wieder in nationale Kleinstaaterei – oder geht es hin zu einem geeinten und gestärkten Europa? Diese Zukunft entscheidet jeder mit seiner Stimme mit.
Übrigens: Die Europaskeptiker sind zwar laut, aber sie sind nicht etwa in der Mehrheit. Umfragen belegen das immer wieder. Umso wichtiger ist es, dass auch die Befürworter von Europa ihre Stimme abgeben. Denn die Skeptiker übersehen, dass wir die großen grenzüberschreitenden Themen unserer Zeit nur gemeinsam lösen können: ob es um Handelsfragen geht, um den Klimawandel, Migration oder Digitalisierung.
Wo hat das EU-Parlament Einfluss auf unser Leben?
Viele denken nur an Vorteile beim Reisen: Es gibt keine Grenzkontrollen, wir bezahlen fast überall mit dem Euro. Aber die EU begegnet uns eigentlich ständig im Alltag, ohne dass wir es wissen oder bemerken.
Können Sie da einige Beispiele nennen?
Betrachten wir mal einen Vormittag: Wenn wir uns morgens die Zähne putzen, entspricht die gute Wasserqualität europäischen Vorschriften. Die Herkunft des Frühstückseis können wir dank der europäischen Kennzeichnung zurückverfolgen. Mit dem Auto fahren wir dann über EU-subventionierte Straßen und schauen in den Rückspiegel, für den es europäische Sicherheitsnormen gibt …
… das heißt, die EU regelt für uns ganz viel?
Die EU hat sehr großen Einfluss auf Bürger und Unternehmen. Allerdings nicht in allen Politikbereichen. Da wurde mal eine fragwürdige Zahl in die Welt gesetzt: 80 Prozent der deutschen Gesetzgebung richten sich angeblich nach den europäischen Vorgaben. In der Umweltpolitik trifft das zu – in der Wirtschafts- oder der Bildungspolitik aber weniger.
Hat sich der Einfluss des EU-Parlaments im Lauf der Zeit geändert?
Absolut! Und wie! Die erste Direktwahl fand 1979 statt. Seitdem hat das Europäische Parlament ganz massiv an Macht gewonnen. So viel wie sonst keine Institution in der EU. Das Parlament steht bei der Gesetzgebung auf einer Ebene mit dem Rat der nationalen Minister. Auch bei internationalen Handelsverträgen hat es zentralen Einfluss. Paradox ist es daher, dass die Wahlbeteiligung immer weiter gesunken ist, obwohl das Parlament im Vergleich zu früher so viel mehr Macht hat.
Welche Bedeutung hat die EU in der Weltpolitik?
Die EU ist eine gewichtige Handelsmacht und der größte Entwicklungshilfegeber weltweit. In manchen Bereichen ist sie also außenpolitisch geeint. Anderswo, etwa in der Sicherheitspolitik, sprechen noch nicht alle Europäer mit einer Stimme. Das ist bedauerlich, denn unsere Welt ist geprägt von autoritären oder unberechenbaren globalen Akteuren. Da kann Europa nur gemeinsam stark sein.
Es gilt mehr denn je, was der Belgier Paul-Henri Spaak, einer der Gründerväter der europäischen Integration, gesagt hat: „Es gibt in Europa zwei Sorten von Staaten: kleine Staaten – und Staaten, die noch nicht realisiert haben, dass sie klein sind.“