Berlin. So schnell kann’s gehen: Noch im November stimmte Deutschland dem Vorschlag der EU-Kommission zu, den Einsatz des wichtigsten Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat für weitere fünf Jahre zu genehmigen. Doch jetzt tritt man auf die Bremse: Man wolle das „deutlich einschränken“ und „so schnell wie möglich beenden“, heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Großen Koalition.

Das hätte Folgen. Zwar bekennen sich die Sondierer von Union und SPD zu einer „flächendeckenden Landwirtschaft – sowohl ökologisch als auch konventionell“. Doch für die große Mehrheit der Nicht-Öko-Bauern, die 2016 rund 93 Prozent der Flächen bewirtschafteten, ist die Kehrtwende ein Alarmsignal.

Die große Mehrheit der Landwirte hat zu Glyphosat keine vernünftige Alternative

„Wenn Glyphosat einfach so verboten wird, gibt es auf deutschen Äckern bald keine wirtschaftliche Lebensmittelproduktion mehr“, kommentiert Professor Christoph Schäfers, Bereichsleiter am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie in Schmallenberg (Sauerland).

Zwar zeigt der Bio-Landbau, dass es auch ohne chemische Helfer geht – mit kleinen Feldern, vielseitiger Fruchtfolge und schonender Bodenbearbeitung. Doch die teuren Produkte will oder kann sich eben nur eine Minderheit der Verbraucher leisten: Nur jeder Siebte kauft mehr Bio- als konventionelle Lebensmittel, jeder Fünfte kauft gar kein Bio, ergab eine Umfrage der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers.

Wer mit der „Schnäppchenjagd an der Supermarkttheke“ mithalten müsse, also für das Gros der Verbraucher produziere, „hat keine vernünftige Alternative“, so Schäfers. „Kein chemisches Mittel ist derzeit so effektiv wie Glyphosat. Die Ersatzstoffe sind entweder giftiger oder unwirksamer oder beides.“ In der Not würden die Bauern auch in erosionsgefährdeten Lagen wieder pflügen. Oder aufgeben – es gibt dann eben mehr importierte Lebensmittel.

Seit 1974 ist Glyphosat auf dem Markt, 800.000 Tonnen jährlich werden weltweit produziert, das ist ein Drittel aller Pflanzenschutzmittel. Ob die Substanz theoretisch Krebs auslösen kann, dazu gibt es widersprüchliche Studien. Schäfers schätzt die negativen Folgen als „sehr gering“ ein, wenn auf Anwendungen vor der Ernte verzichtet wird. Und Professor Andreas Hensel, Chef des Bundesinstituts für Risikobewertung in Berlin, wehrt sich seit Jahren gegen eine aus seiner Sicht hysterische Gefahrendebatte. So kommentierte er eine Kampagne von Umweltschützern („Glyphosat raus aus dem Bier!“) mit dem Hinweis: „Um eine kritische Menge Glyphosat aufzunehmen, müsste man täglich 1.000 Liter Bier trinken.“

Neue Technologien helfen beim Anbau

Für Fraunhofer-Experte Schäfers geht es im Kern nicht um eine Substanz, sondern eine Vision: Wie kommt man, auch mit Blick auf die Artenvielfalt im Ökosystem, zu weniger chemischem Pflanzenschutz? „Hightech-Ackerbau, mithilfe von Sensoren, Satelliten und Robotern, kann helfen – aber das braucht Zeit und Geld. Man muss Lösungen mit der Landwirtschaft suchen, nicht gegen sie.“