Auf dem Gelände einer ehemaligen Gummi-Fabrik entsteht ein neues Wohn- und Einkaufsquartier

Hildesheim. Die Industrie ist kein Auslaufmodell – ihre Bedeutung für die deutsche Wirtschaft nimmt Studien zufolge sogar zu. Immer wieder werden neue Fabriken gegründet, viele auch auf der grünen Wiese. Doch wir wollten wissen: Was wird eigentlich aus dem Gelände, wenn ein Industriestandort einmal tatsächlich geschlossen werden muss?

Wir fuhren nach Hildesheim, an den Ort des alten Phoenix-Gummi-Werks. Im Jahr 1968 ging es aus einer früheren Schuhsohlen-Fabrik hervor, spezialisierte sich seit den 1980er-Jahren auf die Herstellung von Airbags. „Wir haben sie im Akkord zusammengenäht“, erzählt die frühere Näherin Hanna Mahler (67), die für diesen Bericht zwar ihre Erinnerungen erzählen, sich aber nicht fotografieren lassen mochte.

„Und da hinten“, sagt Mahler, und deutet über den großen Parkplatz, um den jetzt Einkaufsmärkte gruppiert sind, „da hinten war der unterirdische Bunker, da wurden die Airbags getestet. Das hat ganz schön geknallt.“

„Das Geschäft läuft super”

Der Bunker ist inzwischen eingeebnet: Im Jahr 2006 übernahm die Hannoveraner ContiTech das Unternehmen Phoenix und gab den zu klein gewordenen Hildesheimer Standort auf. Auch die meisten Fabrikgebäude wurden in den vergangenen zwei Jahren dem Erdboden gleichgemacht, nur der alte Fabrikschornstein ist geblieben, ein Wahrzeichen der Geschichte. Wenn Hanna Mahler heute ihren alten Arbeitsweg läuft, vom Wohnviertel Moritzberg aus die Dingworthstraße hinunter bis zur großen Kreuzung an der Bergmühlenstraße, dann zieht sie einen Einkaufstrolley hinter sich her.

Zwei Supermärkte, eine Drogerie, eine Bank und ein Frisör haben sich auf dem Phoenix-Gelände angesiedelt, als Nächstes will der Investor Hanseatic die Bauanträge einreichen für zwei Niedrigenergie-Gebäude mit 25 Miet- und Eigentumswohnungen. Später sollen auf dem 66.000 Quadratmeter großen Areal auch Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser entstehen.

Aus der Industriebrache wird ein modernes Wohn- und Einkaufsquartier.

Eine, die auf dem Phoenix-Gelände Arbeitsplätze schafft, ist Silke Schetschok, Inhaberin des Frisörsalons mit dem passenden Namen „Fön-ix“. Im Mai hat sie ihn eröffnet – obwohl sie in direkter Nachbarschaft am Fuß des Moritzbergs bereits einen Frisörladen betreibt. „Der soll auch bleiben“, betont sie, es gebe genug Kundschaft. Vier zusätzliche Mitarbeiterinnen hat sie dafür eingestellt. „Das Geschäft läuft super“, sagt sie.

Dort, wo es jetzt nach Shampoo duftet, qualmte einst der typische Gummi-Geruch aus dem Schornstein. „Nicht jeder mochte ihn“, erinnert sich die Rentnerin Mahler, „aber keiner hat sich beschwert.“

„Man muss ja mit der Zeit gehen”

Schließlich war Phoenix ein großer Arbeitgeber. 1.000 Mitarbeiter haben hier zu Spitzenzeiten gearbeitet. 600 waren es noch in den 1980er-Jahren, als Mahler hier ihre Airbags zusammennähte.

Sie findet es eine schöne Idee, dass der alte Schornstein auch in Zukunft an die ehemalige Fabrik erinnert. Allzu wehmütig aber macht sie der Gedanke nicht. „Man muss ja mit der Zeit gehen“, findet sie – und zieht mit ihrem Einkaufstrolley davon.

Sara Reinke