Schlechte Nachrichten von der gesetzlichen Pflegeversicherung: Zeitungen berichten über drohende „rote Zahlen“, sogar von „Zahlungsunfähigkeit“ ist die Rede. Nur eineinhalb Jahre nach der letzten Anhebung sollen die Beitragssätze daher Anfang 2025 schon wieder steigen, um 0,2 Prozentpunkte. Ökonomen plädieren dringend für eine Reform, um den weiteren Anstieg der Ausgaben dauerhaft zu bremsen. aktiv erklärt, was die Ursachen der Geldnot sind – und was helfen kann.
Kann die Pflegeversicherung überhaupt pleitegehen?
Nein, kann sie nicht – versichern Experten. Die Pflegekassen können lediglich unterfinanziert sein. Pflegebedürftige, -dienste und -heime müssen also nicht fürchten, dass plötzlich Zahlungen ausbleiben. Ihre Ansprüche sind ja auch gesetzlich festgeschrieben.
Warum steigen die Kosten so stark?
Weil wir für immer mehr Pflegebedürftige aufkommen müssen. „Seit 2017 haben neben körperlich beeinträchtigten Menschen auch solche mit Demenz Anspruch auf Leistungen“, erklärt der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem von der Uni Duisburg-Essen. Seitdem hat sich die Zahl der Pflegefälle auf 5,2 Millionen Menschen fast verdoppelt! Pro Jahr nahm sie zuletzt im Schnitt um 300.000 Betroffene zu. „Hinzu kommt: Vor zwei Jahren wurden die Zuschüsse für Menschen im Pflegeheim deutlich erhöht.“ Die höheren Tariflöhne für Pflegende tun ein Übriges. Die Alterung der geburtenstarken Jahrgänge wird erst in einigen Jahren zu höheren Kosten führen.
Was kann man tun? Was schlagen die Krankenkassen vor?
Der Kassen-Dachverband GKV fordert: Die Regierung sollte nun endlich die Sonderausgaben für die Coronatests aus Steuermitteln erstatten – und außerdem die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige übernehmen. Macht zusammen 9 Milliarden Euro. „Das Defizit wäre erst mal beseitigt“, sagt Experte Wasem. Aber: Dauerhaft kann das die Kassen nicht stabilisieren, die 2023 rund 57 Milliarden Euro für die Pflege ausgaben.
Könnte eine Bürger-Pflegeversicherung Entlastung bringen?
Gesetzliche und private Pflegeversicherung zusammenzuschließen, würde laut Experten nur zeitweise Linderung bringen. Beamte zum Beispiel verdienen zwar recht gut, sind aber im Schnitt älter als gesetzlich Versicherte und damit eher von Pflegebedürftigkeit bedroht. Durch eine Bürgerversicherung würden die Probleme der Pflegekassen nicht gelöst.
Was ist denn mit den Ausgaben? Gibt es da Sparpotenzial?
Die Pflegekassen könnten durchaus sparen: „Wenn sie nur noch den Heimbewohnern Zuschüsse gewähren, die wirklich hilfsbedürftig sind“, sagt Jochen Pimpertz, Sozialexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft. „Sieben von zehn Rentnerhaushalten könnten die stationären Pflegekosten für eine Person bis zu fünf Jahre lang aus eigenem Einkommen und Vermögen finanzieren.“ Tatsächlich verbringen Pflegebedürftige laut der Caritas im Durchschnitt nur 25 Monate im Heim, jeder Dritte überlebt dort sogar weniger als ein Jahr. Ein höherer Eigenanteil würde Versicherungen und Beitragszahler entlasten. Fraglich ist, ob sich die Politik dazu durchringen kann.
Die Pflege bekommt Geld über die Sozialbeiträge. Ginge es auch anders?
Ja, per kapitalgedeckter Zusatzvorsorge. Zahlreiche Experten fordern das, als zweite Säule der Pflegeversicherung. Wichtig ist ihnen, dass diese Zusatzversicherung, die im Pflegefall Geld zuschießen würde, dann verpflichtend ist. Ein Modell hat ein Expertenteam um Professor Wasem entwickelt: „Mit Monatsbeiträgen von je nach Alter 39 bis 52 Euro ließen sich die Eigenanteile bei der Heimpflege großenteils abdecken, bezahlt würden diese Beiträge je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.“ Damit aber Arbeit am Standort D nicht noch teurer wird, hat sich der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums schon früher für ein ähnliches, aber allein vom Arbeitnehmer finanziertes Modell ausgesprochen.
Statt einer Reform werden erneut die Beiträge erhöht. Was bedeutet das?
Der Beitragssatz in der Pflegeversicherung steigt auf 3,6 Prozent vom Brutto, für Kinderlose gelten dann 4,2 Prozent. Kräftig hoch geht es jetzt zudem auch in der Krankenversicherung: Der Zusatzbeitrag, den jede Krankenkasse selbst bestimmt, wird im Schnitt um 0,8 Prozentpunkte zulegen. Ergebnis: Der Beitragssatz für die Sozialversicherungen schießt um 1 Prozentpunkt auf fast 42 Prozent hoch! Arbeitnehmer erhalten weniger Netto, Arbeitgeber müssen höhere Lohnkosten stemmen – nicht gut für eine Wirtschaft im Krisenmodus.
Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.
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