Meschede. Schichtübergabe: Um viertel vor sechs in aller Früh steht die Gießerei-Meisterin Kristin Müller mit blauem Kittel und Helm im Werk und lässt sich berichten, was so alles vorgefallen ist. Hat eine Maschine gestreikt? Gab es Ausschuss? Kam eine Reklamation rein? Problemen geht sie unverzüglich nach – was Neugier, Spürsinn und Hartnäckigkeit erfordert. „Jeder Tag ist anders“, sagt sie. „Ich mag das.“

Müller leitet die Fertigungsprüfung beim Guss-Spezialisten M. Busch. Das Unternehmen in Meschede im Sauerland beliefert alle europäischen Nutzfahrzeug-Hersteller mit Bremsscheiben und -trommeln, Schwungrädern für Dieselmotoren und Getriebegehäusen.

Den Ausschuss binnen drei Jahren halbiert

530 Beschäftigte fertigen hier fast 2,5 Millionen Eisengussteile pro Jahr. Und die Meisterin sorgt mit ihren sechs Mitarbeitern dafür, dass die Produktion reibungslos läuft und nur perfekte Erzeugnisse zum Kunden rausgehen. Mit Erfolg: „Uns ist es gelungen, den Ausschuss in den letzten drei Jahren zu halbieren.“

Die Arbeit geht ihr so schnell nicht aus, denn das Geschäft läuft gut. Letztes Jahr hat die Firma viel Geld in die Hand genommen und die Gießerei sowie die mechanische Bearbeitung modernisiert.

Müller, 38 Jahre alt, arbeitet seit zwölf Jahren bei der traditionsreichen Eisengießerei. Angefangen hat die gelernte Physiklaborantin in der Werkstoffprüfung. Sie muss sich ziemlich schnell hervorgetan haben, denn das Unternehmen hat ihr nicht nur vorzeitig einen unbefristeten Vertrag angeboten. Sondern auch eine Weiterbildung bei der Gießerei-Akademie in Essen. Mit der Aussicht, die Leitung der Fertigungskontrolle zu übernehmen, weil der Vorgänger in Rente ging.

Für den Blockunterricht stellte sie der Arbeitgeber frei und zahlte auch die Kosten. Zwei Jahre lang besuchte sie den Meister-Lehrgang – neben dem Beruf: „Morgens ins Werk, abends lernen und dann ist der Tag gelaufen.“ Für ihr Hobby, das Reiten, blieb da kaum noch Zeit.

Dafür wurde sie vor sieben Jahren nicht nur die erste Gießerei-Meisterin in Nordrhein-Westfalen überhaupt, sondern auch Jahrgangsbeste. „Das Unternehmen erfüllt es mit Stolz, dass eine Frau diese Aufgabe macht“, sagt Werkleiter Andreas Nissen.

Dabei gab es, als sie anfing, in der Produktion nicht einmal eine Damentoilette. „Aber das haben wir ganz schnell hingekriegt“, so Nissen. Mittlerweile arbeiten drei weitere Frauen in der Fertigung, und die Firma hat jetzt eine gewerbliche Auszubildende. „Wir wollen mehr Frauen im Werk“, betont Nissen. „Dann ist der Ton auch weniger rau.“

Beim jährlichen Girls’ Day kommen die Mädchen auch bei Kristin Müller vorbei: „Sie können viele Fragen stellen und beispielsweise an einem Rohling feilen. Ich erkläre ihnen dann: Lässt sich die Kante gut bearbeiten, hat das Material die richtige Härte.“

Und wie verschafft sie sich Respekt bei den vielen Kerlen im Betrieb? „Kein Problem“, meint sie. Als frischgebackene Chefin war sie ein Neuling in der Abteilung und die Kollegen gestandene Männer mit 20 und mehr Jahren Berufserfahrung. „Sie haben mich hervorragend aufgenommen.“

In ihrem Job reicht es nicht, nur fachlich top zu sein. „Werkstoffe prüfen oder Menschen führen – das ist natürlich ein riesiger Unterschied“, weiß sie. Doch sie hat sich auch da hineingearbeitet. Heute sind Mitarbeiterführung und -entwicklung sogar eine Art Steckenpferd für sie.

Nach dem Meister-Lehrgang hat Müller beruflich noch mal nachgelegt. Erst eine Ausbildung als Mediatorin, sprich Streitschlichterin, nun eine weitere als Coach, also Beraterin. „Die Techniken, die man dabei lernt, sind auch in Mitarbeitergesprächen sehr hilfreich.“

Ehrenamtlicher Einsatz als Seelsorgerin

Mediatoren müssen zum Beispiel die zerstrittenen Parteien dazu bewegen, die Perspektive zu wechseln und sich in die Lage des anderen zu versetzen. „Das muss man in einem guten Team auch können.“ Über Mitarbeiterführung hält die Meisterin auch Vorträge, etwa bei der Technischen Akademie Wuppertal.

Ihr Können, Menschen zu motivieren, will sie demnächst auch als ehrenamtliche Seelsorgerin einbringen. Für die meisten wäre ein solcher Einsatz enorm belastend. Müller sieht das anders. „Wenn Menschen, die oft keinen Ausweg mehr für sich sehen, neuen Mut fassen, ist das ein wunderschönes Gefühl!“

Persönlich

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Mich haben schon immer die Naturwissenschaften interessiert, weil ich die Zusammenhänge hinter den Dingen verstehen will. Das finde ich spannend.

Was reizt Sie am meisten?

Die Abwechslung! Ich arbeite mit Menschen zusammen, hinterfrage Dinge, recherchiere Ursachen.

Worauf kommt es an?

Den Überblick behalten, Prioritäten setzen, ein bisschen Statistik können. Und ein gutes Team, auf das ich mich verlassen kann, weil ich mit dessen Ergebnissen arbeite.