Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bleibt weiter angespannt. „Die Frühjahrsbelebung war insgesamt schwach. Der Arbeitsmarkt bekommt nicht den Rückenwind, den er für eine Trendwende bräuchte“, vermeldete etwa Ende Mai Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit. Sie rechnet mit weiter steigenden Arbeitslosenzahlen für diesen Sommer.

Die Krise ist fast überall: kein Tag ohne Berichte über Stellenabbau und Kürzungen in den Betrieben. Allein in der Industrie gehen derzeit pro Monat im Schnitt etwa 10.000 Stellen verloren.

Weitere Beschäftigte sind von Kurzarbeit betroffen. Zwar war die Welle im Winter noch höher, aber immer noch waren in diesem März mehr Menschen in Kurzarbeit (248.000 Personen) als noch vor einem Jahr (210.000). Monat für Monat melden die Unternehmen zudem weniger offene Stellen an die Agentur für Arbeit.

Unternehmen suchen immer länger nach Fachpersonal

Eine klassische Arbeitsmarktkrise wie aus dem Lehrbuch also, die sich mit Belebung der Wirtschaft sofort wieder in Wohlgefallen auflöst? So einfach ist das nicht, denn es verläuft eben nicht klassisch wie immer. Schließlich gibt es auch die anderen Fakten, wie die Anzahl der Erwerbstätigen in Deutschland insgesamt: Trotz Krise waren im vergangenen Jahr so viele Menschen in Lohn und Brot wie noch nie seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990. Im Jahresschnitt waren dies 2024 rund 46,1 Millionen Beschäftigte. Die Zahl hat sich seit Anfang dieses Jahres nicht wesentlich verändert, im April lag sie nur 0,1 Prozent unter dem Vorjahresmonat.

Noch etwas kommt hinzu: Es kostet die Unternehmen trotz steigender Arbeitslosenzahlen immer mehr Zeit, freie Stellen zu besetzen. Im Schnitt suchten sie vergangenes Jahr gut fünf Monate, bis sie eine oder einen Neuen eingestellt hatten – knapp einen Monat länger als noch 2020, als die Corona-Pandemie die Wirtschaft lähmte.

In manchen Engpassberufen dauert die sogenannte Vakanzzeit sogar noch bedeutend länger. Dies ist ein weiterer Indikator, warum die aktuelle Krise am Arbeitsmarkt eben nicht wie viele frühere verläuft: Nach wie vor herrscht in bestimmten Engpassberufen und Branchen akuter Fach- und Arbeitskräftemangel! Und die, die gerade arbeitslos sind, verfügen nicht zwingend über die richtige Qualifikation – oder wohnen vielleicht nicht da, wo gerade gesucht wird.

Der Mangel wird sich in den kommenden Jahren noch massiv vergrößern, allein schon durch den demografischen Wandel, wenn Berufstätige der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen, aber immer weniger Jüngere nachrücken. Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) haben kürzlich in ihrem MINT-Frühjahrsbericht errechnet, dass aktuell allein in naturwissenschaftlich-technischen Berufen rund 164.000 Arbeitskräfte fehlen. Diese Lücke ist damit deutlich größer als noch vor zehn Jahren – als die Wirtschaft noch brummte.

Das Fatale daran ist: Genau diese Fachkräfte sind es, die Deutschland für eine starke Wirtschaft in wichtigen Zukunftsfeldern braucht. Fast 30 Prozent der Betriebe in Deutschland sind vom demografischen Wandel betroffen und müssen gleichzeitig die Digitalisierung und Dekarbonisierung stemmen. Sie müssen sich anpassen, um mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten und im internationalen Wettbewerb zu bestehen.

Doch laut IW-Experten kann fast die Hälfte der Unternehmen (44 Prozent) ihre digitale Transformation nicht vorantreiben, weil ihnen dazu das Fachpersonal fehlt. Und ebenso viele Betriebe erwarten, dass sie für die Entwicklung klimafreundlicher Technologien und Produkte in den kommenden Jahren mehr Fachkräfte mit Ausbildung in einem MINT-Beruf benötigen.

Ein Dilemma, das durch die desolate allgemeine Wirtschaftslage nicht gerade besser wird. Denn die Personalseite ist ja nicht die einzige „Baustelle“ der Unternehmen. Wegen hoher Kosten an anderen Stellen (Energiepreise, Bürokratie und Sozialabgaben am Standort Deutschland) zögern Unternehmen derzeit dennoch, zu investieren – selbst wenn sie das Personal dazu hätten.

Bundesregierung muss Tempo machen und Reformen umsetzen

Wie kommen wir aus diesem Tal heraus? Wirtschaftsverbände begrüßen, dass die neue Bundesregierung die Belebung der Wirtschaft als oberstes Ziel ansetzt. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, sagt etwa: „Unsere Strukturprobleme sind hausgemacht. Der Koalitionsvertrag enthält ein Bündel an Maßnahmen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts und setzt Wachstumsimpulse, die sich auch auf den Arbeitsmarkt positiv auswirken werden.“ Das muss jetzt aber mit Tempo umgesetzt werden.

Alix Sauer
Leiterin aktiv-Redaktion Bayern

Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.

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